26.04.18

[Rezension] Stätten der Verdammnis (Malmsturm)


[Anmerkung: Ich setze diese Rezi unter das Label "Abenteuer gestalten", weil die Abenteuer perfekte Beispiele für gut in die Praxis umgesetzte Designtheorie sind. Alle drei Stile werden ausführlich im kommenden Buch besprochen.]

„Stätten der Verdammnis“ ist der erste Abenteuerband für die aktuelle Ausgabe von „Malmsturm“. Fertige Abenteuer für Fate-basierte Rollenspiele sind ja so eine Sache. Wie kann man für ein System, in dem die Spieler so viel kreativen Input geben, vorgefertigte Abenteuer kreieren? Diese Frage wird in dem Band beantwortet.

Drei Abenteuer liefert das 188 Seiten starke Hardcoverbuch. Ein Kapitel mit neuen Monstern, ein paar praktische Listen und eine kurze Einleitung runden das Bild ab. Im Gegensatz zum Grundregelwerk „Die Fundamente“ ist das Buch schwarzweiß. Die goldenen und roten Akzente haben die Fundamente optisch zwar aufgewertet, doch kann man die weiße Schrift in den häufig anzutreffenden schwarzen Textkästen einfach besser lesen. Das Layout hat sich ansonsten kaum geändert, abgesehen davon dass dieses Mal ausschließlich doppelseitige Bilder verarbeitet wurden. Manche Bilder haben den ungewöhnlichen Effekt, dass ich als Betrachter den Eindruck bekomme, zu nah an einer Szene dran zu sein. Als würde ich mir eine Skizze zu nah vor die Augen halten. Björn Lensigs Zeichenkunst wird dadurch nicht geschmälert, ich brauchte nur teilweise ein paar Sekunden Gewöhnung. Der Text wird durch die vielen Randanmerkungen und schwarzen Textkästen aufgelockert. Bleiwüsten muss niemand befürchten.

Doch kommen wir zu den Abenteuern selbst. Der Leser bekommt drei Stile präsentiert, je einen pro Teilbereich der Malmsturm-Welt. Im Norden spielt eine klassische Sandbox mit dem Titel „Das scharlachrote Hexagon“. In den nördlichen Meeren liegt die seltsam gleichmäßig wie ein Sechseck geformte Nadelberginsel, auf der Piraten hausen. Als die Liga der Handelsprinzen einen Krieg mit den Piraten beginnt und die Charaktere in die Schlacht geraten, erhebt sich plötzlich ein Malmsturm und zerreißt die bekannte Realität. Verschiedene Realitäten schieben sich übereinander und nebeneinander und die Charaktere sind mittendrin. Woher der Malmsturm kam, was die Realitäten enthalten und wie man mit ihnen umgeht, das sind die Fragen, die die Helden auf ihrer Reise über die Insel beantworten müssen. Handlung im eigentlichen Sinn gibt es nicht, dafür Beschreibungen der verschiedenen Realitäten und Zufallstabellen, was man dort antrifft. Die Charaktere erforschen die Insel und enträtseln (vielleicht) ihre Geheimnisse. Was sie dann damit tun, ist ihre Sache. Das Abenteuer ist genau so konzipiert, wie es eine Sandbox sein soll. Viele tolle Ideen, Agenden von verschiedenen Fraktionen und nette Zufallstabellen. Einzig ein paar mehr lebende Wesen in den Tabellen hätte ich mir gewünscht.

Das zweite Abenteuer spielt in der Waismark und trägt den Titel “Tentakelfinger”. Der titelgebende Unhold ist ein fieser Mörder, der einmal jährlich sieben Frauen in den Gassen der Stadt Phanagor ermordet. Die Charaktere sind vorgefertigt und durch ihre Persönlichkeit und Hintergründe tief in die Umstände der langjährigen Mordserie verstrickt. Ein ganzes Netzwerk an Personen treibt die Handlung der Detektivgeschichte voran. Auf diese Weise kann sich eine freie Handlung voller Dramatik entfalten. Fragt sich jemand, wie man mit Fate Detektivabenteuer - denn darum handelt es sich hier zweifellos - spielen soll, der bekommt die Antwort in einem Textkasten. Nicht die Frage, wer der Mörder ist, spielt die zentrale Rolle, sondern wie man ihn bezwingen soll. Das Abenteuer beschreibt ausführlich die ganzen Figuren des Dramas und hält für den Spielleiter auch einen groben Handlungsablauf parat - der natürlich nur dann wie beschrieben stattfindet, wenn die Charakterer nicht eingreifen. Ich persönlich denke, der Handlungsablauf könnte ein paar zusätzliche Einträge vertraten. Ich vermisse ein paar “Handlungsstarter”, Szenen, die die Charaktere direkt und unausweichlich ins Geschehen verwickeln und so dem Spielleiter etwas in die Hand geben, wenn er mal während des Improvisierens stockt. Andere Spielleiter würden sie vielleicht als Platzverschwendung ansehen. Ich will also nicht meckern. Vermutlich verlangt dieses Szenario dem Spielleiter von allen im Buch am meisten ab, aber der Aufwand dürfte sich lohnen.

Das dritte Abenteuer gefällt mir am besten. Es kommt meinem eigenen Leitstil am meisten entgegen. Außerdem hat es die größte Dichte an coolen Ideen. Es spielt - das wird keinen Malmsturmkenner überraschen - im Imperium und heißt “Der kosmische Krater”. Auch hier gibt es ein Netzwerk an Figuren und Fraktionen. Ein uralter Magier kam von seiner 500 Jahre andauernden Reise ins Weltall zurück und erschuf bei seiner Landung einen Krater, auf dessen Grund der Sand zu blauem Glas schmolz. Die angrenzend lebenden Bauern und ihr Gott Harbon-Buul mussten erleben, wir ihr Dorf zur Hälfte im Krater verschwand. Dementsprechend sind sie nicht gut auf den Magier zu sprechen, um den sich sofort ein Kult bildete, der immer mehr an Macht zunimmt. Als dritte Fraktion überfallen Banditen auf Sandgleitern die Menschen. Das blaue Glas fungiert als McGuffin und zieht seinerseits Leute an. Und die Charaktere sind mittendrin. Das Abenteuer kommt mit der Beschreibung der Fraktionen und wichtigsten NSCs aus. Die Charaktere sind halb fertig. Das sehr gelungene Grundgerüst aus Hintergrund und Persönlichkeit steht. Es müssen nur die Werte noch ein wenig angepasst werden. Jeder der Charaktere hat einen Grund, warum er (oder sie) in der Nähe des Kraters und ohne Geld gestrandet ist. Das Abenteuer sollte leicht zu leiten sein und strotzt nur so vor großartigen großen und kleinen Ideen.

Der Band liest sich wie ein Praxistest von Rollenspieltheorie. Wir bekommen drei Geschichten: einen Hexcrawl (im wahrsten Sinn des Wortes); ein Personennetzwerk von Leuten, die durch ihre Ziele und Persönlichkeiten die Handlung vorantreiben und verkomplizieren; und eine spannungsgeladenen Situation, in der drei Fraktionen und ihre Anhänger aufeinanderprallen. Wir haben hier den Beweis vorliegen, dass nicht alle Rollenspieltheorie verkopfter Blödsinn sein muss. Jeder Spielleiter wird ein Abenteuer finden, das er sich nicht vorstellen kann zu leiten, und Arbeit muss in alle drei gesteckt werden, um sie an den eigenen Stil und die eigene Gruppe anzupassen, doch das ist für mich Zeichen von Qualität und keine Schwäche.

Fazit: Wie schreibt man Abenteuer für Fate/Malmstum? Der vorliegende Band zeigt es. Man erschafft Situationen, die von sich aus abenteuerlich sind. Situationen, in denen verschiedene Mächte aufeinanderprallen. Und die Charaktere sind mittendrin. Wie so etwas aussehen kann und wie man möglichst viele Ideen auf wenige Seiten bekommt, das zeigt „Stätten der Verdammnis“. Ein toller Band.

Stätten der Verdammnis
Abenteuer
Bjorn Beckert, Werner H. Hartmann
Uhrwerk Verlag 2018
ISBN: 978-3-95867-120-1
188 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,95

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

12.04.18

Bald gibt es Dread auf deutsch

Die meisten haben sicher schon mitbekommen, dass zurzeit die Vorbestellaktion (die sympathische Form des Kickstarters) für die deutsche Version von "Dread" läuft. Die benötigte Summer ist fast beisammen, einem Druck steht wohl nichts mehr im Weg. Wenn noch ein wenig mehr Vorbestellungen zusammenkommen, gibt es neue Abenteuer! Ich habe immer bedauert, dass es nur so wenige Abenteuer für "Dread" gibt, deshalb freut mich das besonders. Eines davon werde vermutlich ich beisteuern. Abgesehen davon gibt es bereits ein neues deutsches Abenteuer im Buch. "Dread" wird quadratisch, Hardcover und auf tollem Papier gedruckt. Für Leute, die drauf stehen, gibt es sogar ein Lesebändchen.

Wie das Cover schon andeutet, wird "Dread" nicht mit Würfeln sondern mit einem Jenga-Turm (oder einem ähnlichen Spiel mit wackeligen Hölzern, die es zu stapeln gilt) gespielt. Die Kurzfassung der Regeln lautet:

Wenn ihr in einem anderen Rollenspiel würfeln würdet, zieht ihr hier einen Stein ganz normal nach Jenga-Regeln. Wer den Turm umwirft, ist tot (oder zumindest aus dem Spiel). Keine Ausnahmen. Wenn einer auf die Toilette geht, dabei an den Tisch stößt und der Turm fällt, dann ist er tot. Also seht euch vor!

Das genügt normalerweise als Einleitung, um die Spieler richtig nervös zu machen. Die zweite Innovation, die das Spiel so toll macht, ist die Charaktererschaffung. Jeder Spieler bekommt einen individuellen Fragenkatalog aus 13 Fragen. Es sind teilweise suggestive Fragen wie: "Warum hast du eine Waffe mit in den Wald genommen?" Zahlen braucht man nicht. Der Fragenkatalog ist eine großartige Idee, die jedesmal funktioniert. Die Spieler beschäftigen sich vor dem Spiel auf einfache Weise mit der Figur. Sie bekommen ein paar Vorgaben, können aber auch selbst Dinge entscheiden.

Als ich mir damals die englische Version anschaffte, habe ich das Spiel diverse Male auf Cons geleitet. Insgesamt habe ich fünf verschiedene Abenteuer zusammen sieben Mal angeboten. Die drei im Buch waren die besten. Zwei davon habe ich doppel geleitet. Ich spreche mit Daniel in der passenden Podcast-Reihe über die einzelnen Szenarien. Mit dem Slasher-Abenteuer "Unter der Maske" hatte ich einen der besten Spielabende meines Lebens. Außerdem hatte ich damals ein kostenloses Abenteuer mit dem Titel "13" gefunden. Es ist ein Abenteuer, das vom Verlag für Halloween geschrieben worden war. Die Figuren sind Kinder, die sich plötzlich in einem gruseligen Haus wiederfinden und daraus entkommen müssen. Das Abenteuer hat auch Spaß gemacht, auch wenn es ein Nadelöhr hat, das uns kleine Probleme bereitete. Als letztes leitete ich "Coffee Break of the Living Dead" das Abenteuer aus dem All-Flesh-Must-Be-Eaten-Sichtschirm. Das ist eigentlich ein ganz klassisches Ding. Die Charaktere stecken im Fahrstuhl eines Bürohochhauses fest und als sie wieder frei kommen ist alles voll Zombies. Auch das hat erstaunlich gut mit dem Turm funktioniert.

Der Turm ist toll. Ich habe hartgesottene Rollenspieler gesehen, die schweißnasse Hände bekamen, weil sie einen Stein ziehen mussten. Das macht es leicht, Spannung aufzubauen. Leute, die "Dread" nie gespielt haben, kritisieren manchmal, dass sie glauben, durch die Mechanik aus der Stimmung gerissen zu werden. Vielleicht stimmt das für manche Gruppen. Ich habe es anders erlebt. Der Turm bringt auf einer neuen Ebene Spannung ins Spiel. "Würfele mal auf Ausweichen", das Heraussuchen des Wertes, würfeln und Ergebnis mitteilen, bringt mich nicht weniger aus der "Immersion" als der Turm. Es ist nur nicht so spannend.

Ich hätte nur einen wichtigen Tipp: Versucht keine Kampagnen damit zu spielen. Ich hörte von einer Gruppe, die eine Kult-Kampagne damit spielen wollte. Danach hassten alle Spieler "Dread". Das funktioniert einfach nicht. Aber als Halloween-One-Shot, auf Cons oder als Abwechslung zur aktuellen Cthulhu-Kampagne funktioniert das Spiel hervorragend.

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