Seiten

14.04.20

[Rezi] Barbaricum (Fate)


Was wäre, wenn Steampunk-Technik und Aufklärung in die Zeit der Völkerwanderung im westlichen Europa Einzug halten würden? Diese Frage beantwortet das Quellenbuch „Barbaricum“ für „Fate Core.

Die Fate-Abenteuerwelten-Reihe bietet kurze Weltbeschreibungen und Kampagnenbücher für „Fate Core“ und „Turbo-Fate“. Der amerikanische Verlag Evil Hat finanziert die Reihe über Patreon. Das deutsche Fate-Team hat nicht nur ein paar davon übersetzt, sondern auch drei deutschen Autoren die Chance gegeben, ebenfalls so ein Quellenbuch zu schreiben. „Barbaricum“ ist eines von diesen über Crowdfunding finanzierten Heften.

442 n. Chr. Die Hunnen dringen nach Ost-Europa ein und treiben diverse germanische Stämme vor sich her. Das römische Reich ist gespalten und steht vor seinem Untergang. Es ist der Übergang von der Spätantike ins Frühmittelalter, eine Zeit großer Veränderungen und somit ein idealer Schauplatz für Rollenspielabenteuer. Autor Leopold von Bonhorst hatte dazu eine weitere gute Idee: Rein geschichtliches Spiel wirkt auf viele Gruppen einschüchternd. Zu leicht ist es, dass historische Tatsachen dem freien Lauf von Ideenreichtum entgegenstehen. Außerdem ist es für den modernen Spieler nicht einfach, sich in die Gedankenwelt der Spätantike zu versetzen. Wie wäre es also, wenn Aufklärung, Buchdruck, Feuerwaffen und Dampfmaschinen in diese Zeit Einzug halten würden? Uns Spieler fällt es viel leichter, sich dort hineinzudenken, außerdem würde das für weitere Konfliktherde sorgen und viele neue Spielebenenn öffnen.

Das Heft beginnt mit einer kurzen Einführung (nach einer Kurzgeschichte), die auf gerade mal acht Seiten einen Überblick über die Situation liefert. Allein damit könnte man praktisch schon losspielen. Es folgt das Kapitel mit den neuen Regeln, ohne das kein Fate-Buch auskommt. Wirklich neu sind aber die wenigsten der hier beschriebenen Regeln. Ich persönlich begrüße das. Ich habe mich immer gefragt, wo die Obsession von Fate - einem System, das von sich behauptet extrem einfach und flexibel zu sein - herkommt, ständig für jede Situation neue Regeln aufstellen zu müssen. In „Barbaricum“ wird eher Wert darauf gelegt zu zeigen, wie die bekannten Regeln in dieser Welt angewendet werden.

Ein Charakter hat sechs statt den üblichen fünf Aspekten. Das ist der Tatsache geschuldet, dass jeder Aspekt in eine Gruppierung gehört: Herkunft, Erziehung, Berufung und Gemeinschaft gesellen sich zu dem üblichen Konzept und dem Dilemma. Ein wichtiges Thema von „Barbaricum“ ist die Zusammenarbeit auf Basis verschiedener Hintergründe. Die sechs Aspekt-Kategorien sollten eine gute Grundlage dafür bieten. Ebenfalls neu ist eine dritte Stress-Leiste: der soziale Stress. Zum Thema gehören auf jeden Fall Diskussionen, in denen größere Gruppen von bestimmten Handlungsweisen oder Philosophien überzeugt werden sollen. Zu diesem Zweck wird die dritte Stress-Leiste eingeführt. Die Regeln für  soziale Konflikte unterscheiden sich im Endeffekt aber kaum von denen anderer Konflikte. Jede Gruppe sollte schnell damit zurechtkommen.

Große Schlachten werden in „Barbaricum“ ebenfalls eine Rolle spielen. Da die Fate-Regeln unverändert auf jeder Skala funktionieren, muss das Kapitel „Große Schlachten“ auch hier nichts neu erfinden. Es beschreibt einfach die Anwendung der üblichen Fate-Regeln auf Truppenbewegungen und Großkämpfe. Genau so hätte ich es auch ohne Anleitung gemacht. Die Klarstellung im Heft kann aber bestimmt den einen oder anderen Punkt verdeutlichen und ist auf keinen Fall überflüssig. Ein kurzes Kapitel über Feuerwaffen dient hauptsächlich der Beschreibung der Möglichkeiten.

Wirklich neu sind allerdings vier bisher unbekannte Fertigkeiten: Alchemie, Mechanik, Status und Strategie. Sie werden ausführlich mit bespielhaften Stunts und den vier Aktionen (Überwinden, Angreifen, …) beschrieben.

Ungefähr zwei Drittel des Buches machen die Beschreibungen der verschiedenen Stämme aus: die Römer, die Hunnen und verschiedene germanische Stämme. Es wird jeweils eine kurze Übersicht geboten und einige wichtige Bespielcharakter mit Werten gelistet. Außerdem gibt es einen kurzen Abschnitt über das Militär und ein „Extra“ wie den hunnischen Dampfpanzer.

Mir gefällt „Barbaricum“ sehr gut. Die Welt ist etwas „normaler“ ist als beispielsweise „Märchenkrieger, LOS!“. Es werden weniger neue Regeln benötigt. Die Abenteuerwelt bietet viele Konflikten und Konfliktebenen. Sie ist nicht übermäßig „abgefahren“, sondern recht nah an der allseits beliebten Fantasy. Trotzdem bietet sie mit neuer Technik und neuen Philosophien phantastische Elemente, die verhindern, dass das Spiel zur reinen Geschichtsstunde verkommt. Man kann an das Setting völlig „normal“ herangehen und Abenteuer, Konflikte und Spionage ins Zentrum des Geschehens stellen. Man kann aber auch völlig neue Ansätze verfolgen, wie die Diskussion verschiedener Philosophien oder auch ein Lehrstück über die Zusammenarbeit sehr verschiedener Menschen. Der Leser bekommt Abenteuerwelt und Gedankenexperiment ein einem. 

Fazit: „Barbaricum“ bringt Aufklärung, Feuerwaffen und Dampfmaschinen in die Zeit der Völkerwanderung. Das Buch liefert viele Gedankeansätze, eine Interpretation der bekannten Regeln aus Sicht dieser speziellen Abenteuerwelt und eine Umgebung voller Konflikte und Spannung. Das alles ist wie immer kurz gehalten und eher dazu gedacht, der Gruppe die Grundlagen für ihr eigenes Spiel zu liefern, als alles im Detail zu beschreiben. Ein wirklich gelungenes Buch.

Barbaricum
Quellenbuch
Leopold von Bonhorst
Uhrwerk Verlag 2018        
ISBN: 978-3-95867-156-0
100 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,95

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

13.04.20

[Rezi] Märchenkrieger, LOS! (Fate)

„Märchenkrieger, LOS!“ ist ein kleines Fate-Quellenbuch von einer deutschen Autorin. Es ist eine Weltbeschreibung, in der Anime auf Märchen und ein Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts trifft. Das klingt eigenartig? Mag sein, aber das funktioniert ziemlich gut. Ich hatte nach der Lektüre jedenfalls Lust, direkt loszuspielen.

Mit den „Worlds of Adventure“ liefert der Verlag Evil Hat in regelmäßigen Abständen (über Patreon finanzierte) Quellenbücher für „Fate“ in kleinem Format. Diese kleinen Welten liefern jeweils eine eigene Rollenspielwelt, die ganz Fate-typisch mit Regeln unterfüttert und genug Ideen und Hintergründen versehen wird, um recht schnell loszuspielen. Das deutsche Fate-Team hat ein paar davon in der „Fate-Abenteuerwelten-Reihe“ übersetzt. Zusätzlich finanzierte es mit einem Crowdfunding drei Abenteuerwelten von deutschen Autoren. Anne Wiesner hat die vorliegende kreative und schön spielbare Welt erschaffen und in dieses kleine 108 Seiten lange Heft gegossen.

Ich muss gestehen, die Ankündigung von einer Mischung aus Märchen und Anime hat mich zunächst völlig kalt gelassen. Mit Anime habe ich recht wenig zu tun, auch wenn ich die eine oder andere Serie geguckt habe. Als ich das Heft schließlich in der Hand hielt, was ich überrascht, wie viel Spaß „Märchenkrieger, LOS!“ macht. Die Mischung funktioniert gut. Im Jahr 1870 ist die Grenze zwischen Menschenwelt und Märchenland brüchig geworden. Die Spieler verkörpern Menschen, die mit der Anime-Version einer Märchenfigur verbunden ist. Beide Seiten sind vollwertige auf irgendeine Weise verbundene Wesen.

Die Spieler übernehmen beide Figuren. Sie arbeiten im Auftrag von König Ludwig II. von Bayern und wohnen unter dem Schloss Neuschwanstein. Das verdeutlicht auch gleich, wie genau man es im Spiel mit historischer Genauigkeit halten soll. Man darf sie ignorieren, Hauptsache ist, es macht Spaß, denn 1870 ist Neuschwanstein eigentlich noch im Bau. Der König hat Visionen und vergibt Aufträge an die Charaktere, in denen sie gegen böse Märchenfiguren kämpfen oder andere für die Sicherheit der Bevölkerung wichtige Aufträge übernehmen, die im Zusammenhang mit der Märchenwelt stehen.

Die Märchenwelt wird durch die Anime-Linse betrachtet. Die Verwandlung von Mensch in Märchenfigur und umgekehrt erfolgt ganz Anime-typisch mit viel Farben und Geräuschen. Die Märchenfiguren können fliegen oder Flammen werfen. Vielleicht haben sie riesige Waffen oder sind stark wie Ochsen. Es sind Anime-Märchen-Figuren mit Superkräften.

Regeltechnisch wird Fate Core mit Turbo-Fate vermischt. Die Menschen haben Fertigkeiten wie in Fate Core. Die Märchenfiguren haben Methoden wie in Turbo-Fate, sie beschreiben also „wie“ sie etwas machen und nicht genau, was sie können. Zu den emotionalen Märchenfiguren passt das ziemlich gut. Da beide Regelwerke kostenlos als PDF zur Verfügung stehen, ist auch niemand gezwungen zwei Regelbücher zu kaufen, um „Märchenkrieger, LOS!“ spielen zu können. Die Charaktererschaffung funktioniert ansonsten recht normal. Einige Aspekte können entweder für die Figur oder die Menschen gewählt werden. Durch die Charakterentwicklung kann das auch wechseln, was den Spielern die Möglichkeit gibt, sich in unterschiedlichen Phasen der Kampagne mehr auf die eine oder die andere Seite zu konzentrieren. Stress und Konsequenzen gelten für beide.

Das Heft beschreibt alle Bereiche des Spiels: Charaktererschaffung, Gegner und Figuren, ein kurzer Blick auf Anime und natürlich die Geschichte der Menschenwelt. Details gibt es entsprechend der Fate-Philosophie nur wenige. Der König und seine Gegnerin, die böse Königin, werden beschrieben, es gibt Beispielgegner und zwei oder drei Absätze zur geschichtlichen Entwicklung. Der Hinweis „Macht, was ihr wollt!“ ist aber wesentlich wichtiger als irgendwelche Daten oder Beschreibungen. Alles sind nur Bespiele.

Der Leser wird von Appolonia und ihrem Märchengegenstück, dem Marienkind, durch die Regeln geführt. Fast der gesamte Text ist ein Dialog zwischen den beiden unterschiedlichen Figuren. Die beiden erklären dem Leser, worum es geht und was es zu beachten gilt. Der Dialog (und die kleinen Streitereien zwischen den beiden) hilft bei der Vorstellung, wie das Spiel ablaufen kann. Zwar macht er die Lektüre interessant und witzig, hilft aber nicht unbedingt, wenn man schnell etwas nachschlagen will. Ich persönlich mag „In-Voice“ eigentlich gar nicht, weil es den Text zumeist aufbläht, ohne ihm etwas hinzuzufügen. Wegen der Kürze des Buchs und der gelungenen Untermauerung des Spielkonzepts kann ich hier aber gut damit leben. Der Stil ist vielleicht etwas „überdesignt“. Beim Charakterbogen ist es ähnlich. Er besteht aus zwei Hälften, die jeweils in eine andere Richtung zeigen. Der Spieler muss den Charakterbogen also umdrehen, wenn er die Figur wechselt. Die Idee mag ganz witzig sein, ich halte die Dreherei am Spieltisch aber doch für etwas unpraktisch.

Das sind aber nur kleine Kritikpunkte in einem ansonsten sehr gelungenen Buch. Das Konzept funktioniert hervorragend, liefert Stimmung, Spannung und ein Ziel für die Charaktere. Es wird durch die Regeln unterstützt und hervorragend umgesetzt. Lasst euch nicht vom Thema abschrecken. „Märchenkrieger, LOS!“ ist ziemlich cool.
                                                                                                                                          
Fazit: Ein fiktives Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in das eine Märchenwelt eindringt, die eher an typische Animes gemahnt als an die Brüder Grimm. Auch Gruppen, die Anime nicht so sehr mögen, würde ich empfehlen, einen Blick auf das gelungene Heft zu werfen. Abenteuer, Action, Humor und Spannung fügen sich ein gut designtes Rollenspielkonzept.

Märchenkrieger, LOS!
Quellenbuch
Anne Wiesner
ISBN: 978-3-95867-155-3
108 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,95

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]