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05.04.16
[Rezi] Finsterland - Compendium der Curiositäten
Manchmal gibt es gute Gründe, Geld für etwas auszugeben, das man auch kostenlos haben kann.
Liest man den Klappentext, scheint das "Compendium der Curiositäten" für "Finsterland" kein sonderlich beeindruckendes Buch zu sein. Es sammelt Material, das auf der Webseite des Spiels kostenlos zur Verfügung steht und ergänzt es um weitere Texte. Ein Klick auf den Download-Bereich zeigt aber schnell, dass man eine stattliche Menge an Material bekommen wird. Jetzt muss sich nur noch zeigen, ob die Qualität auch eines Buches würdig ist.
Die Beschreibung der Hauptstadt des Finsterlandes, Alexanderstadt, ist das erste lange Kapitel. Wenn ich sehe, dass eine Stadtbeschreibung eines eher biederen Rollenspiels (in das ich Finsterland einordnen würde, auch wenn es sich liebevoll darum bemüht, zu den coolen Kids zu gehören) ca. 75 Seiten einnimmt, lässt mich das Schlimmes ahnen. Ich habe einfach schon zu viele langweilige Stadtbeschreibungen gelesen, die mir Allgemeinwissen als Innovation verkaufen wollten. Doch Finsterland zeigt ein weiteres Mal eindrucksvoll, dass hier gute Leute am Werk sind, und straft meine Befürchtungen Lügen. Es wird nur ein grober Überblick gegeben - keine lexikalischen Einträge mit langweiligen Daten, die ich mir selbst zusammenreimen kann - und steigt dann gleich in die Details der Stadtviertel ein. Für jedes Stadtviertel werden besondere Orte beschrieben, die vor Ideen überquellen. Eine Liste mit Abenteuerideen schließt jeden Abschnitt zusammen mit einer Übersichtskarte ab.
Es geht weiter mit der Spielwelt. Kleine Kapitel über Geld, die Vorstädte, die Leoniden, Landwirtschaft u. a. schließen direkt an die Stadtbeschreibung an. Wieder gibt es Listen mit Abenteuerideen.
Auch die Spieler sollen nicht zu kurz kommen: 26 Seiten bieten Beispielcharaktere, neue Manöver, Hintergründe und Organisationen. Sogar ein Baukasten für eigene Organisationen ist vorhanden. Falls die Gruppe ein Fan von Felidae, Katzulhu oder Ulthar ist, kann sie sogar mit speziell dafür konzipierten Regeln Katzen als Spielercharaktere einsetzen. Eine witzige Idee, wie ich finde.
Die anschließenden Texte richten sich an den Spielleiter: Robin Laws' Spielertypen dürfen anscheinend in keinem aktuellen Rollenspiel fehlen. Ich persönlich finde die Unterteilung nicht so erhellend, wie offenbar allgemein angenommen wird, aber das ändert nichts daran, dass sie interessanten Lesestoff abgeben. Großartig finde ich eine Liste mit großen, evtl. kampagnenverändernden Ereignissen, die vom Spielleiter ins Spiel gebracht werden können. Es geht hier nicht um Kleinigkeiten: eine Alieninvasion, ein Krieg oder uralte Technologie sind die Themen. Ich würde zu gern eine laufende Finsterland-Kampagne unvorbereitet mit einer Alieninvasion aufpeppen ... Die Elemente zeigen jedenfalls, dass man nicht "brav" spielen muss, wenn man Steampunk, Magie und ein fiktives Europa mischt. Ein paar neue Regeln wie Charakterelemente, Krankheiten oder Wahnsinn ergänzen die SL-Kost.
Neue Gegner gibt es auch: Dämonen, die sich von Schallwellen (z. B. Schreckens- und Schmerzenschreien) ernähren, sind eine abgefahrene Idee. Verschiedene Monströsitäten des Krieges, die Aliens aus den Ereignissen und so genannte Totmacher sind die anderen neuen Gegner. Alles zusammen eine schöne Ansammlung an neuen Ideen.
Der Kern des Buches ist für mich der letzte große Abschnitt: Abenteuer. Zweiunddreißig kleine Abenteuer plus drei Kampagnen findet der willige Spielleiter auf den letzten ca. 60 Seiten. Manche mögen die Abenteuer nur als Skizzen bezeichnen, ein improvisationswilliger Spielleiter sollte aber mit nur wenig Vorbereitung in der Lage sein, damit einen spannenden Spielabend zu füllen. Der Aufbau ist immer gleich: Kurzinhalt, fünf Szenen, Charaktere, Zusatzinformationen. Der Kurzinhalt liefert eine Zusammenfassung der Handlung. Die Szenen sind nichts weiter als Überschriften: Die Befragung, das verfallene Haus, die Fleischhauerei, ... Zusammen mit der Zusammenfassung sollte es den meisten Spielleitern gelingen, zur Not auch ohne Vorbereitung den Spielabend zu improvisieren. Die wichtigsten NSCs werden mit Namen und zwei oder drei Zeilen Beschreibung aufgelistet. Die Zusatzinformationen beschäftigen sich entweder mit der Umgebung, z. B. dem Stadtteil, ni dem alles spielt, oder mit anderen Themen wie Plotideen oder speziellen Herausforderungen. Die Kampagnen sind inhaltlich zusammenhängende Abenteuer in demselben Muster. Manchem mag dieser Aufbau zu wenig sein, ich finde ihn aber sehr angenehm. Der Abenteuertext ist nur ein bis zwei Seiten lang, bietet aber genug Hintergrund, dass es über "Da Monster - mach' Monster tot!" hinausgeht.
Das "Compendium der Curiositäten" bringt eine Menge Lesespaß zusammen mit einer der größten Ansammlung an Abenteuermöglichkeiten und -ideen, die ich seit langem in einem Rollenspielbuch gesehen habe. Wer das Grundregelwerk von "Finsterland" mochte, wird eine Menge Spaß an dem Buch haben. Die Texte sind größtenteils auch über die Webseite von Finsterland zu bekommen, doch ist das stabile Softcover eine kostengünstige Alternative für Leute, die ihr Rollenspielmaterial gern gedruckt vorliegen haben.
Finsterland: Compendium der Curiositäten
Quellenbuch
Georg Pils, Gregor Eisenwort, Anette Meister, Michael Prammer
Finsterland-Verlag 2014
208 S., Softcover, deutsch
Preis: 25 €
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