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13.04.16

Wann ist kurz 'zu kurz'?

Ein Denkanstoß.

Kurz ist 'in'.

Ich weiß gar nicht, wie häufig ich in den letzten Monaten gehört habe: "Diese oder jene Abenteuer/Produkte sind Mist. Sie sind zu lang und nicht gut strukturiert. Ich habe keine Zeit, um mich durch 30 Seiten Abenteuer zu arbeiten, wenn ich mal wieder etwas leiten will."

Die Tendenz ist klar. Wir werden älter und haben mehr Verpflichtungen. Familie, Arbeit, Sport und andere Aktivitäten müssen irgendwie in den Alltag gepresst werden. Wer hat da noch Zeit für Regelwerke mit 500 Seiten und Abenteuer mit 50?

Der Ansatz schlägt sich inzwischen auch in vielen Rollenspielprodukten nieder. Savage Worlds war ein wichtiger Vorreiter. Die Regeln sind schnell (auch schnell zu erlernen) und das Konzept der Plot-Point-Kampagnen ermöglicht es dem Spielleiter mit relativ wenig Arbeit, einen Spielabend zu meistern (DSA-Wortspiel). Numenera behauptet von sich einfach und schnell zu sein. Tales of Demon Lord (demnächst auf deutsch von System Matters) bietet ebenfalls Regeln, die relativ einfach sind, und Abenteuer, die meist zwischen sechs und acht Seiten lang sind. Eine Kampagne dauert nur drei bis vier Monate und ein Stufenanstieg geht so schnell wie noch nie zurvor. Ein wichtiger Teil des Reizes der Old-School-Systeme (und Klone) kommt ebenfalls aus dieser Ecke.

Doch wann wird kurz zu kurz? Sehr häufig, wenn ich mir z. B. Savage-Worlds-Abenteuer angucke, reichen mir die einfach nicht aus. Ich finde es toll, wenn eine Savage Tale nur vier Seiten lang ist und ich mit einer Viertelstunde Vorbereitung loszocken kann. Aber viel zu häufig ist dieses "Abenteuer" dann nichts als: "Geht zu einen bestimmten Ort und tötet das Monster." Ich kann mit so einem Abenteuer viel Spaß haben, wenn die Gruppe gut drauf ist und sich mit Charakterdarstellung ablenkt und wenn auch sonst alles passt. Will ich aber ein zweites oder drittes Mal in dieser Konstellation spielen, ist das einfach zu wenig. Mit vielen Regelwerken, besonders aus der Hobby-Ecke, geht mir das genauso. Into the Odd finde ich großartig - für ein bis drei Spielabende. Dann brauche ich etwas mehr. Auch bei dem von mir gerade übersetzten 1 Pot RPG müsste ich mir Tricks ausdenken, wie ich das Interesse hochhalte.

Auf der anderen Seite sind die längeren Produkte. Für etwas komplexere Sachverhalte - die Abenteuer mit etwas mehr als "Da ein Monster! Ende." nun einmal sind - braucht man Worte, um sie zu erklären. Was wiederum bedeutet, dass wir die Worte auch lesen müssen.

Bleibt das Informationsdesign. Selbst die besten Lehrbücher sind ganze Bücher voll Text. Sie bieten Abschlussfragen, Stichwortsammlungen, erklärende Icons, Schaubilder und Fließdiagramme. Sie fassen sich möglichst kurz und bieten Listen statt Fließtext, wenn es nötig erscheint. Dennoch müssen wir sie lesen. Und wir müssen sie noch einmal lesen, wenn wir die Informationen verinnerlichen wollen, um sie zu benutzen. Wahrscheinlich müssen wir Teile davon sogar aktiv auswendig lernen.

Keine Frage, viele publizierte Abenteuer liefern zu viel Text. Ebenso gibt es genügend Beispiele, die einfach schlecht strukturiert sind. Ich bemerke aber die Tendenz, dass viele Abenteuer als schlecht eingestuft werden, nur weil sie eine gewissen Seitenzahl überschreiten, oder der Leser sie ein zweites Mal lesen müsste, um sie vernünftig zu leiten. Wie es besser sein könnte, wird zwar häufig beschrieben, aber ich behaupte, dass es da viele Fehleinschätzungen gibt. Als Allheilmittel werden manchmal Spiegelstrichlisten mit Stichworten angepriesen. Versucht so eine Liste mal zu lesen und zu begreifen, vielleicht seid ihr dann anderer Meinung.

Natürlich verläuft die Grenze zwischen 'zu lang' und 'zu kurz' bei jedem anders, deshalb kann dieser Artikel nicht mehr als ein Denkanstoß sein.

Mich würde trotzdem interessieren: Was ist für euch 'zu kurz'? Was ist 'zu lang'? Und welche vorbildlichen Beispiele kennt ihr?

Meine Beispiele für gutes Informationsdesign wären: Trail-of-Cthulhu-Abenteuer, Ptolus.
Regelwerke mit der richtigen Länge: Dungeonslayers, Cthulhu 7
Abenteuer in der richtigen Länge: Viele der Tales-of-the-Demon-Lord-Abenteuer, viele Dungeon-Crawl-Classics-Abenteuer, viele der längeren Savage-Worlds-Abenteuer (wie sie z. B. mit den diversen Sichtschirmen ausgeliefert werden), Trail-of-Cthulhu-Abenteuer

6 Kommentare:

  1. Ich meine dem Gedankenanstoß verursacht zu haben :-). Schön, dass sich das Thema über mehrere Blogs fortsetzt!

    Meine 50 Cent dazu: Mir ist ein OneSheet normalerweise auch zu kurz. Das ist als Abwechslung mal ganz nett, als Ideenlieferant sowieso, aber auf Dauer ist es mir zu dünn.

    Auf der anderen Seite sind mir 20+ Seiten für ein Abenteuer - natürlich nicht für eine Kampagne - einfach zu viel. 8-16 Seiten inkl. aller wichtigen Zusatzinformationen (Karten etc.) halte ich für sinnvoll, um einen Spieleabend mit einem völlig ausreichenden Plot zu füllen. Die neue "Heldenwerk"-Reihe für DSA macht's vor - und wenn das sogar für DSA klappt...

    Die sind übrigens im Design gar nicht schlecht: Spielwerte an der richtigen Stelle, Charakterdetails in Stichpunkten, Ortsbeschreibungen kurz und knapp, kurze Zufallstabellen sorgen optional für mehr Farbe... mir gefällt das.

    Ein weiterer Band, den ich als vorbildlich designt empfinde, ist "Schnellschüsse" für Unknown Armies: viele Tabellen, Mindmaps, klar abgegrenzte Zusatztipps - und das allerwichtigste: natürlich viel Fließtext, aber kein "Atmosphärengeschwurbel".

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    1. Das trage ich schon eine Weile mit mir herum, aber die Diskussion bei dir hat mich dazu gebracht, es endlich mal in Worte zu fassen.

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  2. Da ich nicht alles doppelt posten möchte, bin ich mal so frei und verlinke hier nochmal den G+ Beitrag in dem bereits einige Kommentare stehen:
    https://plus.google.com/+AndreasMelhorn/posts/TzkMBATvgA2

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  3. Aus Autorensicht ist die ganze Sache auch ein zweischneidiges Schwert. Natürlich versucht man, so kurz und knackig zu formulieren wie möglich, spätestens mein Lektor pfeift mich aber dann an, warum ich bestimmte Lösungswege nicht im Abenteuer erwähnt habe oder was den passiert, wenn die Helden nicht auf dem Rücken des Riesens durch die Lande reisen wollen oder was passiert, wenn in der Gruppe jetzt ein Magier dabei ist, der Zauber XYZ kann. Dann kommts schon mal vor, dass ich eine Idee, die man durchaus locker auf eine Seite packen kann, auf ein 160 Seiten Abenteuer aufbläht.
    Als Meister waren mir immer solche Abenteuer lieb, die ich auf zwei Abende leiten konnten (etwa 40 Seiten). Ich finde, alles was unter 20 Seiten hat, müsste man auf einen Abend (etwa 8 Std. reine Spielzeit) durchbekommen. Die Frage ist halt, wie viel Zeit man in sein Hobby investieren kann…

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  4. 10 bis 20 Seiten für einen Spielabend von 4 bis 8 Stunden Länge, das halte ich auch für gut.

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  5. Noch mal kurz zu den Oneshots zurück: Da staune ich z.B., wieviel Infos und Abwechslung in den Gewinnern des WOPCs drinsteckt. Trotzdem muss nicht jedes Abenteuer so aufgebaut sein.

    Bei SaWo hab ich auch oft das Problem, dass die zu sehr eingeschmolzen sind, die von Dir genannten 3, 4 Seiten sind ja schon häufig viel.

    Bei Star Wars hingegen wurde ich vom tet erschlagen - und so unübersichtlich präsentiert (Jenseits am Rande).

    Das neue DSA-Abenteuer "Unheil über Arivor" hat mich positiv überrascht. Übersichtlich layoutet, nicht zu lang, Handlungsoptionen. Gut, es hat auch einige NoGos, aber der Aufbau bleibt mir positiv in Erinnerung, zumal ich zu Weihnachten in eine DSA4-Dschungelabenteuersammlung reingeguckt habe, da find ich keine Info wieder noch macht diese Bleiwüste Spaß.

    Bei Pathfinder gefällt mir das 16-Seitenformat, z.B. Falkengrunds Letzte Hoffnung.

    Vieles von dem Altmaterial in den Schränken ist zu schwafelig, Magazin- oder Fanzineabenteuer machen es gelegentlich besser. Ylraphon aus dem Black leaf hab ich immer geliebt.

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