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26.11.16

[Rezension] Nnedi Okorafor: Lagune


Der Roman „Lagune“ erschien in der stetig wachsenden Romansparte von Cross Cult und wurde vollmundig als „Roman des Jahres“ angekündigt. Drei Menschen, die von unterschiedlichen Dämonen getrieben am Strand von Lagos aufeinandertreffen, werden zu den zentralen Figuren in einem wahrlich kosmischen Konflikt. Außerirdische sind in der Bucht gelandet. Die drei Strandspaziergänger begegnen der Botschafterin Ayodele und gemeinsam versuchen sie dafür zu sorgen, dass die Begegnung zwischen Menschen und Außerirdischen nicht in alles verschlingender Gewalt mündet.

Das Genre wird als Afrofuturismus bezeichnet. Die Ästhetik afrikanischer Kultur und Literatur wird mit westlichen Kosmologien kombiniert. Neben der Tatsache, dass auf diese Weise Kulturen einander näher gebracht und die Probleme nicht-weißer Menschen in der heutigen Zeit aufgezeigt werden sollen, bedeutet es auch eine Sicht- und Erzählweise, die dem durchschnittlichen deutschen Leser neu sein dürften. Wird das alles in einem spannenden, kurzweiligen und gut erzählten Roman verbunden, bekommt man Literatur vom Feinsten. Nnedi Okorafor bekam für ihre Geschichte „Binti“ (soweit ich weiß, bisher nicht auf Deutsch erschienen) den Hugo Award. All das weckt große Erwartungen. Ich bin mit Vorfreude in den Roman eingestiegen und wurde nicht enttäuscht.

Der Roman beginnt am Strand, als sich drei völlig unterschiedliche Menschen begegnen. Adaora ist Meeresbiologin und will am Strand ihre Gedanken ordnen, weil ihre Familie zerbricht. Anthony ist Rapper, berühmt und reich und trotzdem problembeladen. Agu ist Soldat. Er wurde von seinen Kumpanen verprügelt, weil er sich in etwas einmischte, das ihn laut deren Meinung nichts anging. Bevor diese drei Menschen mehr als ein paar Worte austauschen können, werden sie von einer riesigen Flutwelle überspült und ins Meer gerissen. Als sie später am Strand erwachen, tritt ie Außerirdische Ayodele an ihre Seite und erklärt, sie und ihr Volk wären gekommen, um zu bleiben.

Der Roman erzählt die Geschichte der schicksalhaften Begegnung auf vielen verschiedenen Ebenen. Da wären natürlich die drei menschlichen Hauptpersonen, alle mit schweren Problemen kämpfend, die sich auf einmal in einer Schlüsselposition zur Rettung der Stadt und vielleicht sogar der Welt wiederfinden. Doch ihre Vergangenheit lässt sie nicht in Ruhe. Dann ist da Ayodele. Sie ist rätselhaft und freundlich, ja sogar sympathisch. Sie spricht wenig, macht aber ganz klar, dass ihre Ziele sind, wie sie sind – nicht verhandel- oder veränderbar. Die Außerirdischen sind da und werden nicht gehen. Ihre Ziele bleiben verborgen. Als dritte Ebene ist da die Stadt selbst. „Lagune“ geht eigentlich um die Stadt und sollte ursprünglich auch so heißen: „Lagos“. Es ist eine irre Stadt. Okorafor vermittelt dem Leser anschaulich, warum sie die Stadt so liebt. Unterschiedlichste Sichtweisen, Mythen und Menschen leben eng zusammen und bilden einen faszinierenden Mix, aber auch einen Brutkessel für Konflikte. Man kann sich vorstellen, dass Außerirdische da nicht unbedingt für Frieden und Ausgeglichenheit sorgen.

Während der Leser langsam die Hauptpersonen und die Stadt kennenlernt, eskalieren die Ereignisse. Die Entwicklung der Geschehnisse bleibt jederzeit nachvollziehbar, die Leute liebens- und hassenswert – alles in schöner Sprache und kurzweilig berichtet. Ich kann gar nicht beschreiben, auf wie vielen Ebenen der Roman funktioniert und unterhält: Der Leser bekommt eine Welt geboten, die er vermutlich nicht kennt. Sie wird anschaulich dargestellt und nahegebracht. Die Handlung ist spannend. Die Charaktere sind toll und ebenfalls anschaulich in Szene gesetzt. Immer wieder werden Geheimnisse gelüftet. Ich wurde förmlich durch den Roman gesaugt und las ihn in Rekordzeit durch.

Fazit: „Lagune“ ist ein ungewöhnlicher Roman. In schöner Sprache erzählt die Autorin Nnedi Okorafor von ihrer Lieblingsstadt und von den Menschen, die dort leben. Sie berichtet wie Außerirdische das bestehende Gefüge bedrohen – nicht unbedingt, weil sie feindlich gesinnt sind (so hat es zumindest den Anschein), sondern einfach weil sie da sind. „Wir sind Veränderung“, sagt die Botschafterin der Außerirdischen. Die Schicksale der drei Hauptpersonen und anderer Menschen ihrer Umgebung werden aufgedeckt. Ihre Probleme münden schließlich in die Probleme einer Stadt in einer unvorstellbaren Situation. „Lagune“ ist spannend, emotional und großartig erzählt. Er ist – auf jeden Fall für mich – wahrlich der „Roman des Jahres“.

Lagune
Roman
Nnedi Okorafor
Cross Cult 2016
ISBN: 978-3-86425-873-2
412 S., Klappbroschür
Preis: 18 €

[Diese Rezension wurde für den Ringboten verfasst.]

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