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20.01.17

[Rezension] Equinox Regel-Handbuch

„Equinox“ ist ein neues Rollenspiel, das Science Fiction mit Fantasy verknüpft. Es verspricht magische Kräfte, die in Raumschiffen genutzt werden, um Dämonen zu bekämpfen. Mystische Energien werden mit Technologie vermischt. Ein großes Konsortium beherrscht die Menschheit und aus den Tiefen des Astralraums dringen bösartige Dämonen in unsere Welt. Die Helden sind Rebellen, die mit mystischen Kräften gegen Unterdrückung und Gefahr kämpfen und fremde Welten erkunden.

Das klingt doch recht spannend. Um das komplette Potenzial von „Equinox“ auszuschöpfen (und ich behaupte, um es überhaupt zu kapieren) benötigt man zwei Bücher: das vorliegende Regel-Handbuch und das Setting-Handbuch, das ich demnächst besprechen werde. Das Setting-Handbuch klärt uns über die Welt und die Hintergründe auf. Das Regel-Handbuch beinhaltet alle Regeln, die zum Spiel nötig sind. Das System wurde für „Equinox“ komplett neu entwickelt. Es bewegt sich irgendwo zwischen „Indie“ und „klassisch“.

Die Aufmachung ist ungewöhnlich, aber gut. Die Bücher sind beide quadratisch. Sie sind so breit und hoch wie ein DIN-A4-Buch breit ist, d. h. man kann sie gut ins Regal neben seine anderen Regelbücher stellen, aber dennoch fallen sie auf. Ob so etwas nötig ist, lassen wir mal dahingestellt, aber die Bände liegen gut in der Hand, sind stabil und stechen aus der Masse hervor. Bilder findet man relativ wenig auf den ca. 300 Seiten des Regelbuchs. Die meisten davon sind großformatige Werke, die jeweils die Kapitel einleiten. Die Zeichnungen sind nicht unbedingt das High-End der Illustrationskunst, wissen aber vor allem durch eine interessante Farbgebung zu gefallen. Was der illustrationsverwöhnte Rollenspielfan vielleicht an Bildermenge vermissen mag, wird durch ein ausgesprochen gelungenes Layout wieder wettgemacht. Ein bläulicher unaufdringlicher Seitenhintergrund verleiht den Seiten Struktur, und Seitenränder aus kräftig blauen Farbklecksen gepaart mit orangefarbenen Überschriften sorgen dafür, dass sich das Auge nicht langweilt. Der Seitenaufbau ist vorbildlich, die Schriftart passend und angenehm zu lesen. Das Layout wirklich toll geworden.

Die Spieler übernehmen die Rollen von so genannten Vaganten. Das sind mystisch begabte Rebellen, die eine große Verschwörung innerhalb der Unterdrückerregierung des Konsortiums erahnen und sie bekämpfen. „Equinox“ wurde im Vorfeld als eine Art Sci-Fi-Nachfolger von „Earthdawn“ und „Shadowrun“ gehandelt. Welten machen hier Zyklen von zu- und abnehmenden mystischen Feldern durch, was zu unterschiedlich starker Magie führt zu beiden genannten Spielen passt. Dämonen, die aus dem Astralraum in unser Universum vordringen und die Menschheit vernichten wollen, sind aus Earthdawn bekannt. Magie gekoppelt mit Technik kennen wir aus Shadowrun. Wie zufrieden Fans der genannten Systeme mit „Equinox“ als dritten Teil der Trilogie sind, kann ich nicht beurteilen, aber als Welt funktioniert es und liefert einen spannenden Hintergrund für massenweise actionreiche Abenteuer.

Die Vaganten sind mächtiger als typische Fantasycharaktere. Sie bewegen sich laut Ankündigung irgendwo zwischen Fantasyfiguren und Superhelden. Auf dem Charakterbogen findet man Platz für klassische Fertigkeiten, typische Eigenschaften wie Agilität und Aufmerksamkeit und Werte, die Erschöpfung und Wunden abbilden. Zusätzlich gibt es Widerstandswerte, Verteidigungswerte, Karma, mystische Kräfte und so genannte Tags, also beschreibende Phrasen oder Worte, die eine Figur weiter definieren. Wie man anhand der Auflistung schon erahnt, bietet „Equinox“ kein simples Regelwerk. Es wird insgesamt viel Wert auf Freiheiten, die Möglichkeit zum freien Fabulieren und Flexibiltät gelegt, aber ein gewisser Komplexitätsgrad ist gewollt.

Die Grundidee ist dabei einfach: Für eine Probe bildet der Spieler abhängig von seinen Werten einen Würfelpool aus sechsseitigen Würfeln und würfelt gegen einen Mindestwurf. Die Menge an geworfenen Würfeln bleibt überschaubar, man darf sich allerdings nicht daran stören, auch mal 6 oder 8 Würfel addieren zu müssen. Zusätzlich wird die Anzahl an Paschen ausgewertet. Zeigen wenigstens drei Würfel die gleiche Augenzahl, hat das spielerische Auswirkungen. Einser stehen für etwas Negatives und alle anderen Zahlen für etwas Positives. Leider ist die Beschreibung der Auswirkungen recht schwammig. Eine erfahrene Gruppe – und an diese richtet sich „Equinox“ eindeutig – sollte damit aber zurechtkommen. Dennoch hätte ich mir bei einem Spiel mit dem vorliegenden Komplexitätsgrad gewünscht, dass hier etwas genauere Vorgaben gemacht werden.

Damit kommen wir zu einem Problem des Spiels. Es wird zwar viel Wert auf Freiheit gelegt, diese aber in ein komplexes Regelwerk gegossen. Freiheit und Komplexität schließen sich nicht zwangsläufig aus, sind aber schwer unter einen Hut zu bekommen. Bei „Equinox“ ist dieser Hut meiner Meinung nach nicht groß genug.

Man muss den Autoren zugutehalten, dass das Würfelsystem eine Menge Möglichkeiten bietet, die irgendwie abgedeckt werden müssen, will man ihnen gerecht werden. Proben können gegen einen statischen Mindestwurf oder einen Gegner geführt werden, der selbst würfelt. Modifikatoren können in Form von Zahlen oder Würfeln oder als Veränderung der Pasche (oder Päsche, dem Duden ist das egal) ins Spiel kommen. All diese Möglichkeiten kommen an unterschiedlichen Stellen ins Spiel. Hinzu kommt ein sehr geschicktes Bietsystem, mit dem kleinere Konflikte ausgetragen werde können. In drei Bietrunden werden Würfel geworfen und Einsätze gemacht. Diese Möglichkeit gefällt mir ausgesprochen gut. Ein klassisches Kampfsystem, das auch „soziale Kämpfe“ zulässt, und ein System für Kräfte und Zauber gibt es natürlich auch.

Die Auswahl an Zaubern, Kräften, mystischen Pfaden, Charaktertypen und Spezies ist groß und macht Spaß. Die Regeln sollten funktionieren, denke ich. Leider hapert es an der Greifbarkeit. Der Regeltext ist nur mäßig gut formuliert. Ich hatte während des gesamten Lesens den Eindruck, dass die Autoren etwas voraussetzen, das ich noch nicht weiß. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Setting-Handbuch zuerst zu lesen (ab und zu bezieht sich das Buch darauf), aber da mir nirgendwo dazu geraten wurde, konnte ich davon auch nichts wissen. Die häufige Schwammigkeit der Regeln, die Freiheit bringen soll, aber beim Uneingeweihten eher Verwirrung auslöst, macht es nicht einfacher. Hinzu kommen eine Menge schwer zugängliche Sätze mit zu vielen Kommas, die einfach nicht auf den Punkt kommen wollen. Auch die Begrifflichkeiten sind häufig ungünstig gewählt. Warum gibt es beispielsweise „Tags“ als einzig englischen Begriff? Am Ende des Buches findet der hartnäckige Leser sieben Seiten mit einer übersichtlichen Zusammenfassung der Regeln. Eine Hilfe, auf die ich nicht hätte verzichten wollen.

Es gibt eine Menge gute Ideen, gelungene Auswahllisten und ein tolles Würfelsystem. Eine Gruppe muss allerdings Arbeit investieren, um sie für sich nutzbar zu machen. Ich rate jedem interessierten Spieler, sich das kostenlose Schnellstarter-Set von der Webseite des Uhrwerk Verlags herunterzuladen. Es zeigt nicht nur, was den Leser optisch erwartet, sondern vermittelt auch sonst einen guten Eindruck. Die Welt kann aufgrund der Kürze nur angedeutet werden (bietet aber sehr viel mehr, so viel sei schon verraten)

Fazit: „Equinox“ verbindet kompetente magische Charaktere mit Raumschiffen, High Tech und Dämonen aus anderen Welten. Das vorliegende „Equinox Regel-Handbuch“ liefert das ausführliche Regelgerüst, mit dessen Hilfe man die interessante Welt am Rollenspieltisch erleben kann. Wenn man etwas Arbeit hineinsteckt, um es für die eigene Runde greifbar zu machen, bekommt man ein flexibles System, das Indie-Einflüsse mit Crunch verbindet. Es ist ein ungewöhnliches wie auch ungewohntes Regelwerk.

Equinox Regel-Handbuch
Grundregelwerk
Angus McNicholl, Eike-Christian Bertram, Carsten Damm, Lars Heitmann, Mikko Goepfert, Jeremiah Schwennen, Jasen U. Wallace
Uhrwerk Verlag 2016
ISBN: 978-3-95867-060-0
308 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 39,95

[Diese Rezension wurde für den Ringboten erstellt.]

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