Seiten

26.11.17

[Rezension] Great Western Trail


„Great Western Trail“ ist ein viel gelobtes taktisches Brettspiel um Viehtreiber, die Rinder nach Kansas City treiben und per Bahn in die Welt zu fahren. Es gibt viele Optionen bei grundlegend einfachem Spielprinzip. Dennoch ist es als „Expertenspiel“ gelistet. Ob das wohl zusammenpasst?

Rinder, Eisenbahn und Viehtreiber sind zwar keine typischen fantastischen Ringbote-Themen, ich denke aber dennoch, dass „Great Western Trail“ hierher passt. Western ist auch ohne Zauberei und Zombies ein Genre, das der Phantastik nicht allzu fern ist und das Spielprinzip dürfte viele Brettspielfans des Fantasy-Fandoms interessieren.

Macht man die Spielbox das erste Mal auf, wird man mit Spielmaterial überschüttet. Karten, Plättchen, Spielfiguren, ein großes Spielbrett, Karten: Die Schachtel ist voll. Die Qualität des Materials weiß auch zu überzeugen. Die Pappe ist dick und stabil, die Karten gut gestaltet und alle Spielsteine aus bunt lackiertem Holz. Die Bebilderung ist nett gemacht und familienspieltauglich, was allerdings auch bedeutet, dass der optisch verwöhnte Phantastikfan nicht ganz so beeindruckt wird, wie er das vielleicht von seinem letzten Sci-Fi- oder Fantasybrettspiel wurde. Mir gefällt das alles aber gut. Das Einzige, das ich nicht begreife, ist das Cover. Drei langweilige und gelangweilt dreinblickende Männervisagen, alles in Graubraun gehalten - ich weiß nicht, wer sich das ausgedacht hat.

Das Spielbrett zeigt mehrere Wege durch eine Wild-Welt-Landschaft mit vielen vorgegebenen Stellen, an denen verschiedene Dinge wie Gebäude oder Gefahren abgelegt werden können. Je nachdem wo der Spielzug endet, geschieht entweder etwas oder der Spieler kann eine Aktion ausführen, die davon abhängt, ob ihm beispielsweise ein Gebäude gehört oder ein anderer Spieler es gebaut hat. Der Spielzug gestaltet sich prinzipiell als recht einfach: Der Spieler zieht ein bis drei Felder, macht eine Aktion und zieht evtl. Karten nach. Das war es eigentlich schon.

In den Aktionen liegt die Finesse. Man kann Gebäude bauen, die wiederum neue Möglichkeiten für Aktionen eröffnen und die Spielzüge selbst verändern. Um Gebäude zu bauen, benötigt man Arbeiter, die man anwirbt. Natürlich gibt es noch andere Arbeiter. Man kann auch Rinder kaufen, wozu man Geld und Cowboys benötigt. Will man etwas mit der Eisenbahn machen, die die verkauften Rinder später transportiert, benötigt man Ingenieure. Kommt ein Viehtreiber in Kansas City an, verkauft er seine Rinder und lässt sie von der Eisenbahn abtransportieren. Man will die Rinder möglichst weit weg bringen, was aber auch erst durch verschiedene Dinge ermöglicht werden muss.

Und es gibt noch viele weitere Optionen: Auftragskarten, Gefahrenplättchen, Hilfsaktionen auf fremden Gebäuden, … die Optionen sind wirklich vielfältig. Und alles greift ineinander, was die Taktik erst richtig spannend macht. Gegenseitig beeinflusst man sich nur wenig. Bei den vielen Überlegungen, die man auch so schon anstellen muss, finde ich das ganz gut so.

Mir gefällt das Spiel sehr gut. Eine vernünftige Beschreibung davon abzugeben ist wegen der vielen kleinen Dinge, die ineinandergreifen, allerdings schwer. Der grobe Überblick in den vorhergehenden Absätzen gibt hoffentlich einen kleinen Eindruck, was den Spieler erwartet. Die vielen Optionen machen „Great Western Trail“ zu einem durchaus anspruchsvollen Taktikspiel. Dass der Spielzug prinzipiell einfach ist, trägt dennoch zu einem gewissen Wohlgefühl bei.

Fazit: „Great Western Trail“ ist ein Taktikspiel mit vielen Optionen, dass fordert, ohne zu überfordern. Für mich trifft es den „Sweet Spot“ zwischen Eingängigkeit und Komplexität. Die Spielmaterialien sind gut, reichhaltig und stabil. Nur das Cover gefällt mir nicht. Insgesamt wird das Spiel seinem guten Ruf absolut gerecht.

Great Western Trail
Brettspiel
Alexander Pfister
Pegasus Spiele 2016
Preis: ca. 39,95 €

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

05.11.17

UltraQuest-Zusatzmaterial

Als ich um ein Rezi-Exemplar von 42 gebeten habe, wurde ich gefragt, ob ich nicht auch einen Blick auf die neuen Materialien von UltraQuest werfen will. Da ich UQ bekanntermaßen sehr gut finde, war ich natürlich sofort einverstanden.

Wer jemals das „Vergnügen“ hatte, in UltraQuest verflucht zu werden, wird die neuen Fluchkarten zu schätzen wissen. Sie sind eine schöne Ergänzung, die das Spiel um ein nettes kleines Spannungselement erweitern. Man erinnere sich: Wird man während des Spiels verflucht, bekommt man eigentlich eine Fluchmarke, die anzeigt, dass man -1 auf jede Form von Kampf bekommt. Die neuen Fluchkarten machen den Fluch variabel. Auf 20 einfach, aber sehr hübsch gestalteten Karten werden unterschiedliche Flüche mit dazugehörigen Regelauswirkungen gelistet. Man zieht sie statt Fluchmarker und ist anschließend vielleicht „Unfähig!“ (-1 auf Testwürfe), „Unbelehrbar!“ (kann keine Fertigkeiten lernen oder steigern) oder verbreitet „Gestank!“ (muss immer hinten gehen). Die Karten sollten jedes Spiel auf subtile Weise ein kleine wenig cooler machen.

Der Oger ist eine neue Charakterklasse. Beim Kauf bekommt man ein 4-seitiges Faltblatt, einen Umschlag mit drei leeren Charakterbögen und zwei Eiermarker zum Ausschneiden. Oger sind stark und als solches sicherlich eine Bereicherung für eine Abenteurergruppe. Sie sind männlich und weiblich gleichzeitig und legen Eier. Treffen sich zwei Oger kommen die Eiermarker ins Spiel. Die Charakterklasse ist vor allem deshalb interessant, weil es ein berühmtes Ogerkönigreich zu erforschen gibt, einen besonderen Dungeon, der über die Webseite von Flying Games heruntergeladen werden kann - wie übrigens auch der Oger selbst. (Hier ist der Link zum passenden Forum mit den Links.) Wer den großen grimmigen Eierleger (oder Eierlegerin) hübsch gedruckt mit drei Charakterbögen haben will, bekommt ihn über den Shop. Man kann ihn sich aber auch erst einmal angucken. Schon wegen des neuen Dungeons würde ich das tun.

Link zum Flying-Games-Shop.

19.10.17

[Rezension] Roger Zelazny: Die neun Prinzen von Amber

Ich habe soeben eine Rezi über das oben genannte Buch gepostet. Wer Interesse hat, findet sie hier:

https://www.rpg-foren.com/threads/die-chroniken-von-amber-1-die-neun-prinzen-von-amber.26316/

Eventuell wird es hier noch mehr über das Buch geben. Amber ist ein Klassiker der Fantasyliteratur und Bestandteil des viel zitierten "Appendix N", der Literaturliste, die Gygax im Spielerhandbuch von AD&D1 veröffentlichte. Man kann wirklich rollenspielerisches aus dem Buch ziehen, über das ich bei Gelegenheit berichten werde.

08.10.17

[Rezension] Monstress 2 - Das Blut


Maika Halbwolf, eine Arkane. Ein Halbblut in der Mitte zwischen den Menschen und den Alten. Sie lebt in einer gespaltenen Welt voller Gewalt, Machtgier und Missgunst. Dazu gesellen sich alte Götter, magische Kräfte und Unsterblichkeit. Im zweiten Band geht Maikas Suche weiter.

Im ersten Band ließ sich Maika Halbwolf als Sklavin verkaufen. Es war nicht der erste Schritt auf ihrer Suche, aber der erste Schritt für den Leser, der nach und nach in diese dunkle Welt eingeführt wurde. Nun zu Beginn des zweiten Bandes lebt etwas Starkes und Mächtiges in Maika. Es verlangt nach Blut und versucht, Maika zu kontrollieren. Trotz der ständigen Gefahr, die sie wegen des Monsters für ihre Mitmenschen (und -wesen) darstellt, muss Maika weiterreisen. Sie ist auf der Reise ins sagenumwobene Thyria, wo sie hofft, Antworten zu finden. Was ist das Erbe, das ihr ihre Mutter mitgegeben hat? Was ist ihre Aufgabe in der Welt? In Thyria angekommen steht schnell ihr nächstes Ziel fest - ein Ziel, das weit gefährlicher ist, als alles auf ihrer bisherigen Reise. Dort erfährt sie viel Neues - und findet sich plötzlich im Zentrum von welterschütternden Ereignissen wieder.

Die zweigeteilte Welt von Maika Halbwolf ist wirklich faszinierend. Sie wird angetrieben von Hass und Geheimnissen. Ständig steht sie am Rand eines neues Krieges. Es gibt viele verschiedene Fraktionen, teilweise mit sehr geheimnisvollen Zielen, die sich dem Leser erst nach und nach (und manche bisher gar nicht) erschließen. Da gibt es Tiermenschen; sprechende Katzen, die nekromantische Kräfte haben können; einen skrupellosen Hexen-Orden, der auch vor Sklaverei und Mord nicht zurückschreckt; alte (rein optisch ziemlich cthuloide) Götter; die mächtigen Alten und die Arkanen, zu denen auch Maika gehört.

Die Welt ist mit all ihren Rätseln der eigentliche Star der Reihe. Es ist faszinierend die Zusammenhänge und Hintergründe nach und nach zu begreifen. Jugendstiloptik, Fantasy und Steampunk vermengen sich zu einem faszinierenden Ganzen. Die wirklich hervorragenden Zeichnungen von Sana Takeda setzen alles großartig in Szene. Ein Blick auf das Cover zeigt, was den Leser erwartet: Gedeckte Farben und eine unglaubliche Detailfülle. Der Manga-Einfluss ist nicht zu leugnen, aber nicht vordergründig.

Gemeinsam mit Maika geht der Leser auf die Reise, um mehr über die Welt zu erfahren. Aufgelockert wird all die Dunkelheit vom Fuchsmädchen Kippa, das niedlich und kindlich über die Seiten tollt und neugierig und treu an Maikas Seite bleibt, egal wie groß die Gefahren werden. Auch wenn sie eindeutig als niedlich-lustiger Side-Kick gedacht ist, wirkt ihre Anwesenheit nicht albern. Sie ist vielleicht die menschlichste Figur der Geschichte. Der dritte Mitreisende ist der Kater Ren, ein Nekromant, der Maika ebenfalls tatkräftig unterstützt, aber dennoch nicht ganz ohne eigene Geheimnisse bleibt.

Die Detailfülle zeigt sich nicht nur in den Zeichnungen. All die Fraktionen, Geheimnisse und Konflikte verlangen dem Leser jedoch ein wenig Aufmerksamkeit ab. Ich muss zugeben, dass ich zwischendurch den Faden verlor und einen Teil ein zweites Mal lesen musste, um wieder in die Geschichte zu finden. Dass die Veröffentlichung des ersten Bandes relativ lange zurückliegt, hilft nicht unbedingt bei der Orientierung. Aber die Mühe lohnt sich. Am Ende von Band zwei sind mehr Fragen beantwortet worden als offen bleiben, und der Leser freut sich auf den dritten Band, der vermutlich irgendeine Form von Showdown enthalten wird.

Fazit: Die Reihe “Monstress” ist wirklich etwas Besonderes. Manga vermischt sich mit Jugendstil, Steampunk und cthuloiden Wesenheiten. Die dunkle komplexe Welt tut ihr übriges, um eine außergewöhnliche Stimmung zu unterstützen. Die Reise von Maika Halbwolf, die in Band eins ihren Anfang nahm, führt sie zu einem Ort, wo sie etwas über ihr Erbe und ihre Bestimmung herausfindet. Auch über das in ihr lebende Monster erfährt der Leser mehr. Es ist nicht immer leicht der Geschichte zu folgen, aber die Mühe lohnt sich. Wirklich schade, dass wir bis nächstes Jahr auf den dritten Teil warten müssen.

Monstress 2: Das Blut
Comic
Marjorie Liu, Sana Takeda
Cross Cult 2017
ISBN: 9783959810616
144 S., Klappbroschur, deutsch
Preis: EUR 15

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

01.10.17

Die zwei Ebenen des Rollenspiels

Im Rollenspiel gibt es zwei Ebenen: Die Fiktionsebene und Spielerebene.

Die Fiktionsebene ist das, was den Spielerfiguren und um sie herum geschieht. Es ist der Kampf mit dem bösen Erzmagier. Oder es ist die Prinzessin, die den edlen Recken anschmachtet, der ihren Vater um eine Belohnung für die Rettung des Dorfes Anglerheim bittet. Die Regeln gehören auch in diese Ebene, denn sie bestimmen, was den Figuren geschieht und beeinflussen direkt die Welt und das Schicksal.

Die Spieler am Tisch bilden die Spielerebene. Der eine flucht über sein Würfelpech, der andere bittet um die Cola. Die Spieler besprechen gemeinsam, was sie von der Fiktionsebene erwarten, wenn sie die nächste Kampagne besprechen oder überlegen, ob mehr oder weniger Kämpfe ein anzustrebendes Ziel sind.

Prinzipiell ist das ja nichts Neues. Mir wurde die Wichtigkeit der Unterscheidung bewusst, als ich über Railroading nachdachte. Meine Definition für Railroading habe ich aus dem RPG-Forum The Forge: Railroading ist es dann, wenn der Spielleiter die Spieler in eine Richtung drängt, in die diese nicht gehen wollen. Sie ist die einzig sinnvolle Definition, die ich je gesehen habe, und bezieht sich komplett auf die Spielerebene. Noch nie hat man Spieler sagen hören: "Der Dungeon war voll das Railroading. Ich wollte nach rechts, aber da war einfach keine Tür." Häufig hört man aber: "Der Spielleiter wollte einfach nicht, dass wir [dasunddas] taten. Er hat es verhindert, egal, was wir uns ausgedacht haben. Was für ein Railroading ..."

Es geschieht allerdings immer wieder, dass Abenteuertexten nachgesagt wird, sie wären Railroading. Abenteuertexte sind aber komplett auf der Fiktionsebene. Sie verlassen sie nur, wenn sie dem Spielleiter sagen, wie er bestimmte Szenen handhaben soll. Das sind quasi "Spielerebenentipps". Da in keinem Abenteuer der Welt der Tipp steht, dass ein Spielleiter Railroading anwenden soll, wie kann es dann im Abenteuer überhaupt vorkommen? Ob etwas zu Railroading wird, entscheidet sich erst am Spieltisch auf Spielerebene. Natürlich gibt es Situationen, die eher dazu einladen als andere, aber selbst wenn der Abenteuertext minutiös alles vorschreibt, was die Spieler sagen oder denken sollen, kann eine gute Chemie zwischen und Spieler und Spielleiter dafür sorgen, dass alle am Tisch zufrieden sind.

Da ich ja gerade über Abenteuergestaltung im Allgemeinen nachdenke, erschien mir diese Unterscheidung wichtig. Abenteuertexte beschreiben immer nur die Fiktionsebene. Was anschließend am Tisch geschieht, hängt aber von den Spielern und dem Spielleiter ab. Ob ein Abenteuer Spaß macht, steht und fällt beispielsweise damit, ob sich alle vertragen und niemand einen schlechten Tag hat und alle anmuffelt. Alte Abenteuer wie die Festung im Grenzland versuchen kaum diese Ebene zu verlassen. Sie überlassen die Fiktion der Gruppe. Ein paar Tipps und Tricks sollen dem Spielleiter helfen, die Spielerebene genauso zu meistern wie die Fiktionsebene, aber im Großen und Ganzen bleibt es bei der Beschreibung der Welt. Was die Gruppe daraus macht, ist ihre Sache. Neuere Abenteuer verwenden eine Menge Platz darauf, dem Spielleiter beide Ebenen näher zu bringen. Die Fiktion wird von vielen Hinweisen begleitet, die dem Spielleiter erklären, wie es sie am besten auf Spielerebene rüberbringt.

Habe ich ein Fazit oder eine sich daraus ableitende Anleitung für das Abenteuerschreiben? Nur, dass jedem Abenteuermacher angeraten ist, die Unterscheidung im Auge zu behalten. Wie viel Raum will man dem Spielleiter geben, um das Abenteuer selbst zu seinen Spielern zu bringen? Wie viel traue ich als Autor ihm zu? Wo denke ich, sind Hinweise unerlässlich? Diese Entscheidungen sollte ich bewusst treffen, denn sie beeinflussen, was für ein Abenteuer ich schreibe.

[Abgelegt unter dem Label Abenteuer gestalten.]

29.09.17

Angelzeit: Kostenloses und vielfach gelobtes Abenteuer

System Matters, der sympathische Verlag, hat mal wieder ein kleines Schmankerl für die Fans. Das englische Abenteuer Gone Fishin' fiel mir das erste mal auf, als es irgendwo lobend erwähnt wurde. Danach stieß ich immer wieder mal auf ähnliche positive Anmerkungen dazu. Als ich gebeten wurde beim Lektorat einer Übersetzung davon zu helfen, war ich gern dabei. Das Ergebnis heißt Angelzeit und kann hier kostenlos heruntergeladen werden.

Das Abenteuer arbeitet mit klassischen OSR-Gegnerwerten mit aufsteigender Rüstungsklasse. Swords and Wizardry (PDF kostenlos) bietet sowohl aufsteigende als auch absteigende Rüstungsklassen, Basic Fantasy (PDF kostenlos) aufsteigende. Beyond the Wall eignet sich natürlich auch. Wer bisher nur die absteigende RK kennt, lässt sich mit einer Googlesuche die einfache Umrechnung erklären.

Das Abenteuer selbst bietet viele gelungene Zufallstabellen (die abgesehen von netten Ideen auch eine interessante Innovation beinhalten). Es geht ausnahmsweise mal nicht um eine Welt- oder Stadtrettung, sondern um die Jagd auf einen riesigen Hecht. Mir ist durchaus bewusst, dass das nach DSA-artigem "Bällchen werfen" klingt. Das Abenteuer baut aber eine erstaunlich dichte Stimmung auf und bietet viele verschiedene Begegnungen, die niemanden langweilen dürften. Natürlich bin ich nicht neutral.

Das Abenteuer bekam neue Bebilderung und Layout. Mir wurde zugeflüstert, dass eine druckerfreundliche Version in Arbeit ist. Sollte bis dahin jemand Tipp- und andere Fehler finden, werden diese bestimmt berücksichtigt.

Hier geht es zum Download.

25.09.17

Auf den Inseln 2017: Index Card RPG, DCC und D&D5

Die Con ist schon wieder zwei Wochen her, es fehlt aber noch der Con-Bericht, den ich jedes Jahr aus irgendeinem Grund nicht vermeiden kann zu schreiben.

An- und Abreise liefen wie gewohnt; es war anstrengend, aber irgendwann ist man halt da. Da das Zeltlager in Otterndorf renoviert worden war, waren dieses Jahr weniger Spieler anwesend. Es war bei der Anmeldung noch nicht bekannt, wie viele Betten es geben würde. Offenbar sind die Möglichkeiten der Unterbringung unerwarteterweise nicht geschrumpft. Nächstes Jahr sind wir also vermutlich wieder mehr. Jedenfalls trafen ist knapp über dreißig Leute zu vier Tagen Zockerwahn.

Nachdem ich vor einiger Zeit über das Index Card RPG gestolpert und begeistert bin, musste ich ein Abenteuer dafür anbieten. Eines der fünf im Buch stehenden Abenteuer ist ein Science-Fiction-Geisterraumschiff-Horror-Action-Spektakel, das geeignet schien. Damit begann für mich die Con gleich Donnerstagabend. Fünf Spieler fanden sich zum Letzten Flug der Red Sword ein. Ein unbeleuchtetes Raumschiff mit Lebenszeichen an Bord treibt im Raum vor einem schwarzen Stern, der dunkle Strahlenwolken ins All wirft. Natürlich müssen die Charaktere herausfinden, was dort geschehen ist.

Das Index Card RPG (ICRPG) ist old-school durch und durch, allerdings mit ein paar wirklich innovativen Ideen. Es gibt die üblichen sechs Attribute, die durch Charaktererschaffung und Ausrüstung einen Bonus erhalten. Keine Werte von 3-18, sondern nur Boni. Ich glaube, bei uns gingen sie bis maximal +3 (Anfängercharaktere). Man würfelt mit 1W20 + Bonus gegen einen Mindestwurf. Stärke-Bonus im Nahkampf, Geschick-Bonus für Fernkampf, Weisheit für Wahrnehmung usw. Erste Innovation: Der Mindestwurf ändert sich nur szenenweise. Der Spielleiter legt einen W20 in die Mitte, der den aktuellen Mindestwurf anzeigt. Man kann je nach Situation leichte oder schwere Proben würfeln (-3 und +3), das war es aber auch schon. Wird das Abenteuer schwerer, erhöht der SL einfach den Mindestwurf. Die Mechanik ist unglaublich einfach und funktioniert hervorragend.

Zweite Innovation: Rundenbasiertes Spiel. Es wird immer in Runden gespielt. Immer. Die Runden sind nur unterschiedlich lang: ein paar Sekunden, ein paar Stunden oder ein paar Tage. Die Reihenfolge geht immer im Uhrzeigersinn um den Tisch. Wollen die Spieler die Reihenfolge verändern, müssen sie sich umsetzen. Klingt bescheuert? Ist es aber nicht. Noch nie hatte ich ein so geordnetes Spiel.

Dritte Innovation: Der Timer. Die Abenteuer haben häufig etwas, das Druck auf die SC ausübt. In diesem Fall sind es Protuberanzen von schwarzen Sternenstrahlen. Der Stern ist das pure Böse und die Strahlen sind dementsprechend unschön: Das Schiff fällt langsam auseinander, Mutationen, Schaden, etc. sind die Folge. Der Timer ist 1W4. Der SL würfelt und legt den W4 in die Mitte neben den W20. Jede Runde wird runtergezählt. Bei 0 geschieht etwas. Der konstante Druck macht das Abenteuer sehr spannend. Ich hatte kurz darauf die Chance das Abenteuer ein zweites Mal zu spielen und da war der Druck gegen Schluss so groß, dass die Spieler noch nicht einmal die Zeit fanden, sich gegenseitig zu heilen.

Falls ich jemanden neugierig gemacht habe: Es gibt sehr gute, kostenlose Kurzregeln des ICRPG bei Drivethru. Es gibt noch ein paar andere tolle Ideen darin.

Das Abenteuer lief bei uns jedenfalls gut. Es war - zumindest aus meiner Sicht - kurzweilig und spannend. Es gab relativ wenig Interaktion zwischen den Spielern, was an der Rundenregelung lag. Dass das nicht so sein muss, bewies mein zweites Spiel, aber hier war es halt so. Ob das die Spieler gestört hat, kann ich nicht sagen, mich jedenfalls nicht. Vielen Dank an euch, es war mir wie immer eine Freude.

(Kurzer Kommentar zu Namen: Ich habe bei diesen Berichten immer Problem, dass ich ungefragt über andere Leute spreche. Ich bin mir eigentlich sicher, dass niemand etwas dagegen hat, in einem Spielbericht namentlich genannt zu werden. Ich gehe aber lieber auf Nummer sicher und bleibe beim unpersönlichen "die Spieler". Leute, ich weiß, wer ihr seid. Wenn ich euch nicht nenne, versteht das bitte nicht als Missachtung sondern als Rücksicht.)

Freitag tagsüber war ich zu unentschlossen und hatte deshalb keine RPG-Runde. Das war aber nicht schlimm. Wir spielten eine Runde Descent 2nd Edition, was mir ziemlich gut gefallen hat. Leider übermannte mich schließlich die Müdigkeit und ich zog mich zurück. Ich hatte den Eindruck, dass die anderen Spieler dachten, dass ich das Spiel nicht mag. Es war nicht so (wirklich). Ich fand es toll, das Spiel endlich mal ausprobieren zu können. Ich überlege noch, wie es mir im Vergleich zu den D&D-Dungeon-Brettspielen (Castle Ravenloft, usw.) finde, aber gut war es allemal.

Abends hatte ich mich für eine Runde D&D5 angemeldet. Wir spielten mit vier Spielern. Es war mein zweiter D&D5-Versuch und wieder war ich sehr angetan von den Regeln. Sehr funktional, viele Möglichkeiten zur Individualisierung und eine große Auswahl an Fähigkeiten/Zauber/Kräfte, trotzdem unkompliziert und einfach. Ein paarmal habe ich mich dabei ertappt, dass ich dachte: "Das ICRPG hätte das an dieser Stelle eleganter gelöst", das ändert aber nichts daran, dass D&D5 die vielleicht bestmögliche moderne Inkarnation von D&D ist.

Dass ich Spaß hatte, lag aber natürlich nicht nur am Regelwerk. Wir spielten ein kurzes detektivisches (und kostenloses) Abenteuer mit einem Pastetenwettbewerb und Dämonen, das der Spielleiter irgendwo aus dem Netz gezaubert hat. Wenig überraschend hat er weit besser geschauspielert als ich und uns einen unterhaltsamen und flexiblen Abend beschert. Er berichtete hinterher, dass wir uns in keinster Weise an den vorgeschlagenen Weg gehalten haben, im Spiel hat man davon aber nichts gemerkt. Wie immer ein großer Spaß, auch wenn gleich zwei Spieler - einer mehr, einer weniger - mit dem Schlaf zu kämpfen hatten. Mich hat es nicht gestört, und die übriggebliebene Spielerin und ich haben den Dämonen auch so eingeheizt.

Samstagfrüh ging es mit Dungeon Crawl Classics weiter. Ich hatte lange überlebt, welchen Trichter ich leiten will und mich aufgrund von Internettipps für Frozen in Time entschieden. Zur Erklärung: Trichter oder "Funnel" sind Abenteuer, in denen die Spieler drei bis vier 0.-Stufe-Charaktere übernehmen und versuchen möglichst viele davon lebendig durch das Abenteuer zu bekommen. 0. Stufe bedeutet, dass man es schwer hat mit dem Überleben. 1W4 Trefferpunkte. Ein Schwert macht 1W8 Schaden. Ihr könnt euch vorstellen, worauf das hinausläuft. Ausrüstung gibt es auch kaum, weil die Figuren Bauern, Barbaren oder Jugendliche sind, die ihren Mut zusammennehmen und auf Abenteuer ausziehen, ohne über Geldmittel oder Zugang zu einem Waffenschmied zu verfügen.

Frozen in Time kann für 1. Stufe oder 0. Stufe benutzt werden. In letzterem Fall übernehmen die Spieler junge Leute eines nomadischen Stammes. Das Winterquartier des Stammes liegt am Fuße eines Gletschers. Vor kurzem brach die Kante des Gletschers und legte zwei Löcher frei, die in sein Inneres führen. Grüner Dampf quillt heraus. Die Charaktere werden hineingeschickt, um zu gucken, was da los ist und so zu beweisen, dass sie ab sofort zu den Erwachsenen gehören.

Im Gletscher befindet sich  (Achtung Spoiler!!)
|
|
|
|
|
(Platz, damit potenzielle Spieler aufhören können zu lesen)
|
|
|
|
|
die Wohnstatt und Sammlung eines Zeitreisenden. Maschinen, Kunstwerke und sogar ein Saurier. Das Abenteuer ist großartig und beweist ein weiteres Mal, dass DCC die unterhaltsamsten Abenteuer auf dem aktuellen Markt liefert. Leider fiel das Ende etwas ungünstig in die Essenszeit und so war das Showdown ein wenig gehetzter als ich das gern gehabt hätte. Ich hoffe, die Spieler haben es nicht gemerkt. Auch an euch vielen Dank.

Wie immer wurde die ADI mit einem Tablequiz beendet. Das war wie immer ein großer Spaß, auch wenn unser Tisch in der letzten Runde furchtbar geschlagen wurde. (Sorry, übrigens für den grammatikalischen Zwischenruf. Du hattest natürlich Recht :-) ). Damit war die Con auch schon wieder vorbei. Den Sonntag ließen wir gemütlich ausklingen und auch wenn die Bahn wieder mal Verspätung hatte und ich deshalb über acht Stunden brauchte, kam ich zufrieden zu Hause an. Bis nächstes Jahr!

05.09.17

[Rezension] Fate-Kodex Anthologie Band 1

“Fate Codex” ist eine per Patreon finanzierte englischsprachige PDF-Zeitschrift für das Universalrollenspiel Fate. Das regelmäßig erscheinende Zine ist schon im dritten Jahr und hat bereits 18 Ausgaben bei Drivethrurpg.com. Ein Fate-Mitarbeiter zeichnet sich für die Redaktion verantwortlich. Die “Fate-Kodex Anthologie Band 1” vereinigt die Ausgaben des ersten Jahres - sieben an der Zahl - in einem kleinformatigen Hardcover. Kann eine Zeitschrift ein ganzes Buch mit lesenswertem Material füllen? Diese Frage gilt es zu beantworten.

Ein Freund und ich haben vor kurzem den Tod der Rollenspielzeitschrift als solches betrauert. Was waren das noch für Zeiten, als man sich die neueste Ausgabe der aktuellen Lieblingszeitschrift kaufte und durch die vielen verschiedenen Artikel wühlte? Heute, zu Zeiten des Internets, ist die Rollenspielzeitschrift mehr oder weniger überholt. Nicht jedoch überholt ist die Idee, gute gemischte Artikel in einem annehmbaren Format zu veröffentlichen.

Ob so ein Buch etwas taugt, steht und fällt in jedem Fall mit der Qualität der Artikel. Abenteuer mit mittlerem Innovationsgrad und oberflächliche Regelartikel gibt es in großen Mengen im Internet. Dafür muss ich kein Geld ausgeben. Zum Glück kann der “Fate-Kodex” hier absolut überzeugten. Achtundzwanzig Artikel füllen das Buch. Wie bei “Fate” nicht anders zu erwarten, beschäftigen sich fast alle mit Regelergänzungen oder -varianten. Natürlich lassen sich gewissen Schwankungen bei der Qualität nicht vermeiden, insgesamt ist sie aber weit besser, als ich es von den meisten Zeitschriften - egal ob neu oder alt - gewohnt bin.

Der Einleitungsartikel ist komplett theoretischer Natur und beschäftigt sich mit dem Leiten selbst. Er wirft einen kurzen Blick auf die Unterschiede zwischen Fate und anderen Systemen und gibt ein paar interessante allgemeine Tipps. Damit wäre die Grundlage für die folgenden Artikel gelegt.

Sehr gut gefallen haben mir verschiedene Kurzabenteuer, von denen es gleich mehrere gibt. Darin wird zunächst eine Welt in groben Zügen beschrieben - eine Welt die nah genug an klassischen Genres ist, dass man sofort weiß, worum es geht. Dort hinein werden ein paar Details gegeben, die vom Klischee abweichen. Ein Haupt- und zwei zusätzliche Probleme sorgen dafür, dass die Spielercharaktere etwas zu tun bekommen. Die Handlung des eigentlichen Szenarios, ggf. kombiniert mit Regelerweiterungen, gefolgt von Beispielcharakteren schließen die Beschreibungen ab. Das ist ein tolles Konzept.

Besonders gut fand ich “Silicon City”. Eine Cyberpunk-Stadt mit einer ganz besonderen Polizeistruktur und einem Drogenproblem. Man kann das Szenario gut als One-Shot auf einer Con leiten (und die Spieler wünschen lassen, sie könnten mehr erleben als nur diese “Pilotfolge” einer ganzen Kampagne). Mit “Dark Star” gibt es ein Sci-Fi-Szenario, das sich um einen geheimnisvollen schwarzen Stern dreht und das in einen ganzen Krieg münden kann. In “Arcane High” sind die Spieler Schüler auf einer Magieschule und müssen das Turnier eines ganz besonderen Spiels gewinnen. Das Spiel wird mit kompletten Regeln unterfüttert (also Regeln, mit denen man es am Spieltisch erleben kann) und natürlich gibt es auch wieder zwei weitere Probleme, von denen sich die Spieler eines aussuchen. Ein Szenario mit Zombies gibt es auch (alles wird besser mit Zombies). Insgesamt sieben solcher Kurzszenarien sind in dem Buch zu finden - und allein den Preis des ganzen Bandes wert.

Auch sehr gut gefallen hat mir ein Artikel über das “Einbrechen” in Burgen oder andere befestigte, aber nicht hochtechnisierte Gebäude. Der Artikel beschreibt ein Regelsystem, das mit Karteikarten funktioniert und auch für Leute interessant sein könnte, die nicht “Fate” spielen. Je nachdem wie der Spielleiter den Einbruch am Spieltisch darstellt, könnte das System ein wenig zu Brettspiel-artig werden. Man kann sich aber mit ein wenig Mühe auch vom Figurenschieben entfernen.

Neben diesen Highlights gibt es noch zwei Kurzgeschichten (mit Werten für die Hauptpersonen), zweimal Zombies (einmal davon das erwähnte Kurzabenteuer), Regeln für Munition, Konflikte abseits von Kampf, politische Kampagnen und andere interessante Artikel. Der “Fate-Kodex” ist für “Fate” vielleicht die perfekte Veröffentlichung. Er zeigt die Vielseitigkeit, gibt interessante Tipps und offenbart den Spaß, an “Fate” herumzuschrauben.

Das Schwarzweißlayout des Buchs ist einspaltiger Fate-Standard. Nichts Aufregendes, aber gut zu lesen und übersichtlich. Das ist die Hauptsache. Das Cover ist schlicht und in violett gehalten; statt Bild zeigt es das Symbol für “Vorteil erschaffen”. Der Einband ist stabil. Für diejenigen, die auf so etwas stehen, gibt es sogar ein Lesebändchen.

Fazit: Sieben Ausgaben einer herausragenden Zeitschrift in ein Hardcoverbuch gepresst - das ist Band 1 des “Fate-Kodex”. Die Artikel sind abwechslungsreich und im Durchschnitt sehr gut. Es gibt mehrere Kurzabenteuer, die auch als Kampagnenstarter genutzt werden können und viele andere interessante Artikel. Der “Fate-Kodex” ist ein Buch, das Spaß macht.

Fate-Kodex Anthologie Band 1
Quellenbuch
Mark Diaz Truman (Red.)
Uhrwerk Verlag 2017
ISBN: 978-3-95867-091-4
272 S., Hardcover, deutsch
Preis: 29,95

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

04.09.17

Ihr wisst doch gar nicht, was ihr wollt

Oder: Ich weiß häufig nicht, was ich will - und welche Schlüsse ich daraus ziehe.

Euch ist das bestimmt auch schon so gegangen. Ein junges, hippes Rollenspiel geht neue Wege, die sich richtig anfühlen. Es greift irgendetwas auf, das in der eigenen Runde schon mal Probleme bereitet hat, und "repariert" es. Oder es ist einfach etwas, dass ganz offensichtlich in dieser neu beschriebenen Weise besser funktionieren sollte, als man es selbst in der Vergangenheit erlebt hat.

Für mich ist das Fate. Ich mag das System. Es macht so viele Dinge richtig. Es ist flexibel wie kaum ein anderes. Es sorgt sich nicht um die "Macht" von Figuren sondern um Erzählrechte und Rampenlichtzeit. Es gibt den Spielern ein Mitspracherecht, was Welt, Hintergründe und Themen angeht. Das muss doch einfach besser funktionieren als die eigene DSA- oder D&D-Runde, in der der Spielleiter - so gut er auch normalerweise ist - ab und zu nicht das liefert, worauf man gerade Bock hat. Da habe ich diese tolle Idee, was ich im Spiel machen will und dann kapiert er es an diesem Tag nicht und meine Superidee läuft ins Leere. Schade drum. Ich bin ihm nicht böse, er kann ja bei der Vorbereitung nicht an alles denken. Aber genau da müsste Fate doch viel besser laufen, oder?

Ich habe zwei Testspiele gemacht, einmal als Spieler und einmal als SL - Fate funktioniert wirklich. Aber nicht für mich. Beide Testspiele ließen mich mit einem faden Gefühl zurück. Dieser ganze Mitgestaltungskram der Spieler ist einfach nicht mein Ding. Ich will das nicht als SL und ich will es auch nicht als Spieler. Als ich die Regeln las, war ich fest davon überzeugt, dass das perfekt für mich sein müsste. Im Spiel stellte ich fest, dass ich offenbar doch zu sehr in der klassischen Spielweise - der Spielleiter erschafft die Welt und der Spieler kommt darin klar - verankert bin. Ohne dass es mir bewusst war, scheine ich in vielen Bereichen viel mehr OSR'ler zu sein, als ich dachte. Na sowas.

Ich habe mich falsch eingeschätzt.

Mir geht das nicht allein so. Rollenspiel bietet sich zum Theoretisieren an. Besonders natürlich im Internet. Was machen wir denn hier, wenn wir bloggen, in Foren diskutieren oder in sozialen Netzwerken unsere RPG-Gruppen aufrufen? Spielen tun wir da nicht. Wir reden über das Spielen. Da uns als erwachsenen Rollenspielern häufig die Zeit fehlt, so viel zu spielen, wie wir gern möchten, reden wir halt drüber. Da ist ja auch in Ordnung. Die Regelwerke unterstützen das, denn sie erklären das Spiel in theoretischen Worten und unterfüttern diese Theorien mit Regeln.

In einem Hobby, das sehr stark durch seine Fans mitgestaltet wird, kann eine weitreichende Fehleinschätzung des eigenen Geschmacks dazu führen, dass Produkte schlechter werden, wenn man die Fans fragt. Dungeonslayers fragte einst seine Fans, was sie als nächstes für ein großes Produkt haben wollen. Starslayers - die Science-Fiction-Variante des Regelwerks - gewann. Große Bücher und grundlegende Erweiterungen sind ja auch was Tolles. Was die Fans aber nicht wollten, war eine Wartezeit von mehreren Jahren, bis ein komplettes Regelwerk entwickelt ist. Es ist lange nichts erschienen, weil Starslayers viel Arbeitskraft bindet, und plötzlich ist Starslayers nicht auf Platz eins der Wunschliste. Auch für Cthulhu gibt es immer wieder Umfragen, was die Fans wollen. Mal abgesehen davon, dass die Forenleser nicht den Durchschnitt der Spieler darstellen, wissen viele einfach nicht, was sie wirklich wollen. Das klingt arrogant, ich weiß, ist aber eine an mir selbst beobachtete Tatsache.

Spieltests sind ein weiteres Ding. Eine neutrale Beschreibung der Spielereignisse und -handlungen, ist für die Entwickler wesentlich hilfreicher als Meinungsäußerungen, die sich häufig viel zu sehr auf Detailfragen konzentrieren oder aus der Situation heraus entstehen.

Das gleiche gilt übrigens für den Wunsch nach Informationen von Verlagen. Wenn die Fans auf bestimmte Produkte warten, wird schnell der Wunsch nach "mehr Kommunikation" laut. Der Verlag wird kritisiert, dass er die Fans nicht auf dem Laufenden hält. Ganz ehrlich: Ich halte das für ganz großen Quatsch. Wir wollen nicht auf dem Laufenden gehalten werden, wir wollen gute Nachrichten; wir wollen Produkte. Manche Verlage strampeln sich ab und schreiben News darüber, wie weit Produkte sind und warum sie halt so lange dauern, wie sie dauern, doch das Gemecker bleibt. Kein Wunder. Wir sollten sagen, was wir wirklich wollen: Produkte, kein Gequatsche.

All das ist die langstielige Erklärung für Folgendes:

Hinterfragt eure eigenen Wünsche. Ihr macht euer Spiel besser. Wenn ihr eure Wünsche und euren Geschmackb besser kennt, profitiert unter Umständen die gesamte Community davon. Hinterfragt auch eure Wünsche an die Verlage. Vielleicht macht der Verlag alles richtig, wir wissen es nur nicht.

31.08.17

Allein mit Dungeon World: Ich baue einen Charakter (und Neuigkeiten)

Die Neuigkeiten vorweg: Beide Stretch Goals sind geknackt. Man kann sowohl

- das Abenteuer "Diener der Aschekönigin" als auch
- die "20 Dungeon Starter"

in gedruckter Form vorbestellen. Ersteres sofort, letzteres, sobald die Webseite aktualisiert wurde. Ich persönlich finde fertige Abenteuer absolut notwendig, um ein System wirklich kennen zu lernen. Aber ich weiß, dass viele Leute das anders sehen.

Außerdem können die Klassenbücher bereits als gelayoutetes PDF heruntergeladen werden. Und natürlich bekommt jeder Print-Besteller einen Block mit Charakterbögen und die gedruckten Klassenbücher geschickt.

Klassenbücher sind dieser tolle Mix aus zusammengefasster Charaktererschaffung, Regelzusammenfassung und Charakterbogen. Im Zusammenhang mit dem Fahnenlektorat hatte ich zwar zwei Kapitel des Regelwerks gelesen, nicht jedoch die Charaktererschaffung. Weil jetzt alles zur Verfügung steht, habe ich mir mein Tablett geschnappt und zwei Charaktere gebaut. Ich war gespannt, was die können - und ob die Charaktererschaffung wirklich so schnell geht, wie alle behaupten. Die Ergebsnisse folgen weiter unten als Download.

Ich blätterte also durch die Klassenbücher und stieß auf den Barden. Der Barde war für mich immer eine unverständliche Klasse. Zunächst als Alleskönner angepriesen, stellte er sich im Spiel praktisch immer als Nichts-Könner heraus. Leute, die Barden spielten, waren meistens nervige Persönlichkeiten, die hach so charmant rüberkommen wollten, aber furchtbar dabei versagten. Schließlich waren die Fähigkeiten des Barden - sein Wissen und seine Möglichkeiten im Umgang mit Leuten - immer stark vom Improvisationstalent des Spielleiters abhängig. Oft genug liefen tolle Ideen ins Leeren, weil der Spielleiter gerade keinen Kopf dafür hatte.

Sollte der Barde bei DW besser funktionieren? Ich war neugierig, schnappte mir meinen Stylus und legte los.

Download Barde "Willem".

1. Wähle Klasse: der Barde

2. Wähle Volk: Für den Barden gibt es zwei Auswahlmöglichkeiten: Mensch oder Elf. Halbling-Barden sind nicht vorgesehen. Die Charakterklassen von DW sind nun mal Archetypen. Man kann dazu stehen, wie man will, aber zur klassischen Dungeon-Fantasy passt das. Ich wählte jedenfalls den Menschen, weil ich die Baumschmuser eher für nervig halte. Liebe Elfenfreunde, bitte seid mir nicht böse deswegen, ich spiele Elfen einfach nicht gern. Der Mensch bekommt auch eine besondere Fähigkeit zugeordnet, die ihr dem Charakterbuch entnehmen könnt.

3. Wähle einen Namen: Der Bogen liefert eine Liste mit Namen. Ich wähle Willem, einfach weil ich bis vor einigen Monaten einen 7te-See-Charakter namens William gespielt habe und viel Spaß mit ihm hatte. Die Namensliste kann man natürlich jederzeit ignorieren, aber sie unterstützt sowohl ein gewisses Gefühl für die Welt von DW als auch Spieler, die wie ich nicht so einfach Namen aus dem Hut zaubern können.

4. Wähle dein Aussehen: Hier gibt es ebenfalls Listen und man soll je eine Alternative zu jedem Punkt wählen. Beispiel: wissender Blick, feuriger Blick oder fröhlicher Blick. Ich wählte fröhlicher Blick, weil ich weder pseudo-weise noch hitzköpfige Barden für besonders cool halte. Auf die gleiche Weise wählt man Körper, Haar und Kleidung. Ich fand die Auswahlmöglichkeiten zum Teil etwas einschränkend. Auf der anderen Seite brachten sie meine kreativen Säfte sofort im Gang. Für meinen Testcharakter wählte ich natürlich aus den Punkten aus, ich würde aber jederzeit eine Hausregel akzeptieren, die freies Erfinden an dieser Stelle erlaubt. So oder so festigte sich sofort ein bestimmtes Bild von meinem Willem. Sinn und Zweck dieser Wahllisten wurden also erfüllt.

5. Wähle deine Attribute. Es gibt die bekannten sechs: ST, GE, KO, IN, WE, CH. Ich soll die Werte 16, 15, 13, 12, 9 und 8 darauf verteilen, was Boni von +2, +1, +1, 0, 0 und -1 entspricht. Sehr erfrischend ist der Hinweis im Regelbuch, dass man die Verteilung davon abhängig machen soll, welche Spielzüge man können will. Keine nervigen Hinweise, man solle sich daran orientieren, was für eine Figur man sich vorstellt, was am Ende ohnehin niemand macht. Die Punkte waren schnell verteilt.

6. und 7. Modifikatoren und Trefferpunkte: Hier muss man nur ein paar Zahlen nachschlagen und eintragen.

8. Wähle deine ersten Spielzüge: Hier wurde es interessant. Was kann mein Barde? Die Spielzüge gefallen mir gut, denn sie gehen das Barden-Problem von der richtigen Seite her an. Dem Spielleiter wird durch die Regeln der Spielzüge keine Wahl gelassen als an den richtigen Stellen zu improvisieren. Das Bardenwissen wird Willem an vielen Stellen große Vorteile bringen und seine Zeit im Rampenlicht garantieren. Tolle Sache. Der Barde hat den Test bestanden. Ich könnte mir sogar vorstellen, Willem wirklich zu spielen - womit ich, ehrlich gesagt, nicht gerechnet hatte.

9. Wähle deine Gesinnung: Noch ein Punkt, wo mich DW überzeugt. Die Gesinnungen sind nicht nur mit guten, spielrelevanten Regeln unterlegt, sowohl Auswahl als auch Beschreibung gefallen mir ebenfalls besser als fast überall sonst. Es gibt Gut, Rechtschaffen, Neutral, Chaotisch und Böse. Kein Chaotisch-gut-Quatsch. Ich wähle Neutral, weil ich eigentlich immer Neutral wähle.

10. Wähle deine Ausrüstung: Wieder ein paar kurze, sinnvolle Listen.

Das war's. Die Erschaffung von Willem hat ca. 7 Minuten gedauert - und das obwohl ich diesbezüglich kompletter Neuling war. Wow.

Zweiter Test: Der Magier. Magier sind wegen der Auswahl der Zauber auch häufig problematisch. Ist die Auswahl zu groß, dauert es zu lange, ist sie zu klein oder nicht sinnvoll, ist es auch Mist. Ich erschaffe Vitus, den neutralen, eher praktisch veranlagten Magier innerhalb von ca. 6 Minuten. Mir gefällt die Auswahl an Zaubern. Ohne sie ausprobiert zu haben, denke ich, dass sie funktionieren sollten. Außerdem geben sie ein schönes Bild von klassischen Magier.

Download von Vitus, dem Magier.

Die Vorbestellaktion von DW läuft noch bis zum 3.9.

[Rezension] 42! - Ideen zum Rollenspiel mit Karten

“42! - Ideen zum Rollenspiel mit Karten” ist eigentlich ein Begleitbuch für das Universalrollenspiel “Idee!”. Es beschreibt verschiedene Möglichkeiten, die Karten anstatt eines anderen Regelwerks einzusetzen und erklärt zusätzlich viele andere Techniken, die jedes Spiel unterstützen können. Da die Karten einen ganz ähnlichen Aufbau wie Tarotkarten haben, werden die “Idee,”-Karten nicht zwangsläufig benötigt. Das Buch ist auch ohne sie eine wahre Fundgrube an guten Ideen.

Das Idee!-Kartenspiel besteht aus 42 Karten mit unterschiedlichen Abbildungen und Bezeichnungen. Wie erwähnt sind Ähnlichkeiten zu Tarotkarten vorhanden und – wie wir im Buch erfahren – auch kein Zufall. Es gibt zwei Versionen: “Idee! Ad Astra” arbeitet mit Sternbildern. Jede Karte zeigt eine Sternenformation, den Namen des Sternbildes und zwei Bezeichnungen, jeweils von einer anderen Seite lesbar. Ein Sternbild ist beispielsweise “Der Adler”. Liegt das Bild richtig herum, steht oben auf hellem Hintergrund “präzise”; die negative Auslegung des Adlers kann man lesen, wenn die Karte falsch herum liegt, dann steht dort auf dunklem Hintergrund “abgehoben”. “Idee! Szenario” liefert ein Bild einer typischen Situation (z. B. saufende Zwerge), zwei Sinnsprüche kombiniert mit einem Verb und ebenfalls einen erklärenden Namen. “Der Troll” zeigt einen plumpen, großen Humanoiden unter einer Brücke. Richtig herum liegend lässt die Karte verlauten: “Ein gutes Wort kann Steine brechen –poltern–”. Verkehrt herum liest man “Den Kopf verlieren –verschlingen–”. Ich finde letztere wesentlich inspirierender, Astrologie-affine Spieler sehen das bestimmt anders.

Je nachdem ob eine Karte aufrecht oder verkehrt herum liegt, gibt es also verschiedene Interpretationmöglichkeiten – normalerweise positiv und negativ auslegbar. Im Vergleich zu Tarotkarten stehen die Bezeichnungen direkt auf den Karten anstatt im erklärenden Begleitbuch. Natürlich sind auch die Themen und Bezeichnungen selbst andere. Damit ist “Idee!”, wie uns auch Autorin Daniela Festi zu Beginn des Buches versichert, einfacher im Rollenspiel einsetzbar als Tarotkarten. Dennoch lässt sich jede Art von Inspirationskarten verwenden. Es gibt ja nicht nur “Idee!” und Tarot. Seit Jahren werden für Rollenspiele solche Karten produziert. Egal, ob das “Tarokka-Deck” für “Castle Ravenloft”, die “Everway”-Karten, “Inrah” oder die “Harrow”-Karten – Karten, die Ideen liefern, gibt es zuhauf. Auch wenn das vorliegende Buch mit den “Idee!”-Karten als Grundlage arbeitet, sollte sich niemand davon abhalten zu lassen, es auch dann zu lesen, wenn er diese nicht besitzt.

Das Buch ist eingeteilt eingeteilt in 42 Abschnitte und ein paar Anhänge. Autorin Festi bezeichnet passend zum Spiel jeden Abschnitt als Idee. Da ja praktisch alles als Idee bezeichnet werden kann, passt es auch meistens. Ungefähr die Hälfte der Ideen beschäftigen sich mit der Nutzung der Karten als Regelwerk. So ein Spiel ist zwangsläufig sehr erzählerisch. Soll das Regelwerk einen Einfluss auf den Fortgang der Geschichte haben, wird eine Karte gezogen und die Gruppe interpretiert sie entsprechend. Ob eine Aktion gelingt oder nicht, kann z. B. darüber entschieden werden, ob eine Karte aufrecht liegt oder verkehrt herum. Wer die Karte interpretiert, was man über die Karten entscheidet und viele ander Möglichkeiten werden gründlich betrachtet.

Die nächsten Ideen beschäftigen sich mit der Konstruktion von Abenteuern. Hier wird es für diejenigen interessant, die lieber würfeln oder eigene Regelwerke verwenden. Frau Festi geht im Detail auf verschiedene Abenteuerstrukturen ein und erklärt, wie man die jeweiligen Bestandteile auf der Grundlage von Karten entwickeln kann. Sie hat sich offenbar gründlich mit der Thematik auseinandergesetzt und behandelt kurzweilig und gut strukturiert viele interessante Gesichtspunkte. Sie beschreibt z. B. verschiedene eigentlich für das Tarot gedachte Legearten, die zur Abenteuergestaltung umgedeutet werden können. Dieses Kapitel ist für mich das Highlight des Buches.

Als Inspirationswerkzeuge können die Karten natürlich nicht nur zur Abenteuergestaltung eingesetzt werden. Die nächsten beiden Kapitel bieten Ideen zur Gestaltung von Rollenspielwelten oder Spielfiguren. Festi analysiert die benötigten Bestandteile und bietet entsprechende Erklärungen und Legeschemata. Auch diese beiden Kapitel zeigen, dass sie sich mit dem Thema auskennt und stehen dem vorigen an Qualität in nichts nach.

Abschließend folgen ein paar Anhänge. Der längste erklärt ein komplettes Regelwerk mit Karten. Ein Glossar und Quellenangaben (keine Selbstverständlichkeit im Rollenspielbereich) sind ebenfalls vorhanden.

Das Design des Buches verströmt esoterisch angehauchten Hippie-Charme. Verschiedenen Realitätsblasen hängen auf dem Cover als Früchte an einem Baum. Auf der Rückseite des Buchs beißen sich zwei umeinandergeschlungene Schlagen in den Schwanz und bilden einen Kreis. Das Innendesign ist vollfarbig; die Seiten haben Holzmaserung als Hintergrund. Wir haben sogar geflochtene bunte Bänder als Seitenbegrenzung. Sinnschwangere Überschriften wie “Die Frage ist die Antwort” oder “Aller Anfang ist leicht” tun ihr Übriges, um das Gesamtkonzept zu untermauern. All das ergibt einen ganz eigenen, konsequent durchdachten Stil, den man allerdings mögen muss. Die Bindung des DIN-A5-Taschenbuchs scheint stabil zu sein. Die Buchecken sind abgerundet, was einen angenehmen Effekt auf das Buch als Objekt hat. Alles zusammen ergibt ein rundes, durchdachtes Werk, dass mehr Ideen liefert als manches fette Quellenbuch. Hier ist viel Hirnschmalz eingeflossen. Man kann der Autorin nur zu einem hervorragenden Buch gratulieren.

Fazit: Das Buch liefert Anweisungen wie man Inspirationskarten für Rollenspiel einsetzen kann – angeführt natürlich von den namensgebenden “Idee!”-Karten, die auch in den vielen Beispielen genutzt werden. Ein komplettes Rollenspielsystem wird erklärt. Da es komplett über Karteninterpretation läuft, ist es rein erzählerisch und somit nicht für jeden geeignet. Dennoch liefert das Regelwerk und die dazugehörigen Erklärungen hervorragende Ideen auch für andere Rollenspielstile. Die zweite Hälfte des Buches beschäftigt sich mit Abenteuer-, Welten- und Figurengestaltung und analysiert alle drei Punkte hervorragend. Wer sich für ein Erzählrollenspiel mit Karten oder für Rollenspieltheorie im Allgemeinen interessiert, wird viel Freude an dem Buch haben.

42! - Ideen zum Rollenspiel mit Karten
Quellenbuch
Daniela Festi
Flying Games 2017
ISBN: 978-1-58846-713-3
264 S., Softcover, deutsch
Preis: $ oder EUR 34,99

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

16.08.17

Dungeon World auf deutsch: Warum mich das freut

Der sympathische System-Matters-Verlag bringt Dungeon World auf deutsch heraus. Das freut mich aus vielen Gründen: Es ist das erste "große" Projekt des Verlags und da ich mit den Jungs befreundet bin (und für sie arbeite), wünsche ich ihnen damit viel Glück. Die englische Ausgabe ist zwar prinzipiell cool und hat ein großartig oldschooliges Cover, aber ansonsten ist das Ding nicht so richtig hübsch. Außerdem habe ich zwar das englische PDF gekauft, aber noch nie so richtig genau hinein geguckt. Die Deutsche Ausgabe wird - wenn die Finanzierung optimal läuft - gedruckte Charakterbücher verfügbar machen und gedruckte Abenteuer (so genannte Dungeon Starter) und sie wird ein wirklich hübsches Layout haben. Vollfarbig noch dazu. Ich jedenfalls bin sofort eingestiegen und habe eine Vorbestellung getätigt.

Ich habe außerdem ein wenig beim Fahnenlektorat geholfen. Da ich mit den Jungs befreundet bin, würde ich nichts schreiben, wenn ich das Buch schlecht fände. So viel Loyalität muss sein. Ich finde es aber gut, also schreibe ich.

Mir ist zu Ohren gekommen, dass Fragen zur deutschen Ausgabe gestellt werden. Man mag mir verzeihen, wenn ich nicht verstehe, warum diese Fragen gestellt werden, aber deshalb darf man sie trotzdem beantworten. Also:

1. Warum ist das Buch so dick? - Die deutsche Übersetzung eines englischen Textes ist 10 % - 30 % länger als das Original. Außerdem ist das Layout neu - und, wie ich bereits andeutete, wesentlich hübscher. Guckt euch nur das Cover an. Ich trauere dem original Cover ein wenig hinterher, aber das deutsche ist ein Hingucker. Die Großzügigkeit der Seitengestaltung wurde (zu Recht) beibehalten. Klickt auf die Bilder, um sie euch genauer anzusehen. 25 % mehr Seiten sind jedenfalls ziemlich normal, denke ich.

2. Warum ist das Buch so teuer? - Oh, Mann. Ehrlich? 39,95 € für ein 500-Seiten-Hardcover in Farbe ist ein Schnapper. Ein Blick auf die Vorbestellzahlen bisher verraten ein wenig über die erwartete Winzigkeit der Auflage. Es soll ja Verlage geben, die auf große Verkaufszahlen und günstige Preise setzen. Ich finde das toll. Ich kaufe die Sachen selbst gern, freue mich über die günstigen Preise und halte das für eine tolle Taktik, um Rollenspiele zu verbreiten. Das funktioniert aber nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Nischenrollenspiele, zu denen auch DW gehört, müssen teurer sein, damit sie sich finanzieren. Kleinverlage wie System Matters könnten eine solche Preisgestaltung auch mit größeren Produktlinien nicht stemmen. Ich persönlich halte das Buch für zu billig. Damit der Verlag noch viele coole Dinge herausbringt (das ist eine unglaubliche Menge an Arbeit), muss er Geld verdienen. Gönnt den Jungs die paar Kröten. Meine Güte ...

Nun zu DW selbst.

Wenn ihr bereits wisst, worum es geht, könnt ihr hier aufhören zu lesen. Es sei denn euch interessiert, warum ich bestimmte Bereiche des Spiels gut oder nicht so gut finde :-)

Charaktererschaffung

Es gibt zwei Gründe, aus denen ich DW herausragend finde. Einer davon sind die Charakterbücher. Der Spieler wählt einen Archetypen aus und schnappt sich das passende Charakterbuch. Dann wählt er aus Listen aus. Ist jede Liste abgearbeitet, ist die Charaktererschaffung fertig. Durch die Spielzüge (s. u.) und die Einfachheit und Einheitlichkeit des Würfelsystems hat man ratzfatz die Figur fertig. Eine weitere tolle Idee ist, dass niemals ein Archetyp in einer Gruppe zweimal vorkommen darf. Es sind halt Archetypen, die gibt es nur einmal. Drüben bei Ingo kann man das Charakterbuch des Diebs herunterladen und sich ein Bild machen.

Würfelsystem

Das Prinzip ist super - robust, eingängig und funktional. Nur der Spieler würfelt. Soweit ich weiß, ist Apocalypse World, auf dessen Grundlage DW erstellt wurde, der Erfinder der "Player Facing Dice Rolls", also der Tatsache, dass nur die Spieler würfeln und niemals der SL. (Es möge mich bitte jemand korrigieren, wenn ich mich irre.) Der Spieler würfelt 2W6 und zählt abhängig von Spielzug und Eigenschaften einen kleinen Bonus hinzu. 2-6 bedeutet Fehlschlag; 7-9 bedeutet Teilerfolg oder Erfolg mit einer Komplikation oder einem kleinen Rückschlag; 10+ bedeutet Erfolg. Durch den mittleren Bereich wird das Spiel auf ungeahnte Weise nach vorn getrieben. Der Spielleiter ist immer gezwungen, sich spannende Resultate auszudenken.

Spielzüge

Hier scheiden sich die Geister. Spielzüge sind alles, was getan werden kann. Sie sind das, was in anderen Rollenspielen einfach da ist und keinen Namen hat. Der Spielzug "Hauen und Stechen" ist beispielsweise für den Nahkampfangriff zuständig. Ergebnisse: Daneben; getroffen, aber der SC bekommt Schaden vom Gegenangriff des Monsters; getroffen, ohne Schaden zu nehmen. Prinzipiell ist das toll. Die Charakterbücher haben verschiedene zum Archetypen passende Spielzüge, was Sonderfähigkeiten einfach darstellt. Die Spielzüge des Spielleiter geben ihm Inspirationen, wenn er mal improvisieren muss. Allerdings verregeln sie Dinge, die selbstverständlich sein sollten.

Auch wenn man hier ein wenig Eingewöhnungszeit erwarten muss, funktionieren die Spielzüge gut und verschwinden schnell im Hintergrund. Der Nachteil ist nur, dass das Regelwerk eine Menge Erklärungsaufwand benötigt, um die Idee der Spielzüge zu verdeutlichen. Hier wird es mir zu schwafelig.

Abenteueroffenheit und durch Regeln verursachtes Spiel

"System Matters", fürwahr. Das Regelsystem und die Gestaltung der Spielzüge bringt ein Spiel zu Tage, das die Spieler zur Mitgestaltung auffordert. Der Spielleiter ist gezwungen, Lücken im Abenteuer zu lassen, die die Spieler mit ihrem Spiel füllen. Klassische Railroads sind kaum möglich. Ich weiß nicht, ob ich ein Fan davon bin, als Spieler ständig an der Welt und dem Abenteuer mitzuschreiben, aber es ist auf jeden Fall ein interessantes Spiel. In DW ist das auch bei weitem nicht so extrem wie in anderen auf Apocalypse World basierenden Spielen. In dieser Form komme ich gut damit klar. Kommt genug Geld zusammen, werden noch dieses Jahr (Katastrophen ausgenommen) 20 Beispielabenteuer veröffentlicht, die dem SL den Einstieg in diese Art Spiel erleichtern.

Viel Zeug

Die englischsprachige Szene ist begeistert von DW. Es gibt Unmengen an Zeug, das man mit ein wenig Suchen kostenlos bekommen kann: Dungeon Starter, neue Charakterbücher, Play Kits. Und zu kaufen gibt es auch eine Menge: Weltbeschreibungen, groß angelegte Abenteuer usw. Diese Sachen sind natürlich auf englisch, aber das dürfte die Meisten ja nicht stören.

Fazit

DW ist hip und indie und ein wenig hippie. Es funktioniert - richtig gut sogar. Es ist einfach und macht Spaß. Es nimmt das klassische Dungeonspiel und verändert es. Kauft das Buch. Tut es, weil die Beschreibung des Abenteuerdesigns neue Blickwinkel aufzeigt. Tut es wegen der Spielbücher oder des tollen Würfelsystems. Oder tut es einfach, um einen sympathischen Kleinverlag zu unterstützen, der große Pläne hat.

Zur Vorbestellaktion.

04.08.17

[Rezension] Degenesis: The Killing Game

“The Killing Game” ist das neueste Quellenbuch und Abenteuer für “Degenesis”. Das bedeutet opulent bebilderte, mythisch angehauchte Endzeit. Der Klappentext lautet schlicht: „Toulon muss brennen“, und das ist Programm.

Quellenmaterial für „Degenesis“ erscheint nicht jeden Tag. Die Macher sind nur wenige, und sie lassen sich Zeit, jeweils das beste Produkt zu machen, dass ihnen möglich ist. Dafür erwartet die Leser auch immer etwas Besonderes. „Degenesis“ ist ein Gesamtkunstwerk. Die Macher wollen sich sowohl textlich als auch mit Bildern und Layout vom bunten Einheitsbrei abheben. Es sind engagierte Fans, die jeweils können, was sie tun und all ihr Know-How und ihre Begeisterung in die Produkte einfließen lassen. Laut Degenesis-Forum sind sowohl die Patronen als auch das Blut auf dem Cover echt – die Macher meinen es offensichtlich ernst. Grundregelwerk und Quellenbände sind zu einem Drittel Artbooks, zu einem Drittel in Text gegossene Stimmung und zu einem Drittel Spiel. Das bedeutet, dass das Spiel eben nur ein Drittel von allem ausmacht. Wer einfache Texte erwartet, die er überfliegen und sofort losspielen kann, wird enttäuscht werden. Aber das Buch macht Spaß, ich denke, das ist die Hauptsache.

Das Buch ist außen schlicht, wie alle Bücher der aktuellen Edition. Das Layout ist aufgeräumt und schön anzusehen. Schwarze Seiten mit weißer Schrift werden als Kontrast zu den üblichen Schwarz-auf-hell-Seiten genutzt, um Inhalte abzuheben und Abwechslung zu bieten. Linien, Symbole und Schriftarten werden hervorragend eingesetzt. Dabei bleibt alles immer übersichtlich und gut zu lesen. Toll. Zur Bebilderung kann man eigentlich nichts sagen, was nicht bereits vielfach über „Degenesis“ gesagt wurde: Sie ist fantastisch. Ein paar Bilder spielen mit Licht und Schatten und lassen den Leser innehalten, um sie sich genauer anzusehen und die Details zu genießen. (Die Fotos werden dem kaum gerecht.) Eine 3D-Karte von Toulons großem Palast ist nicht nur übersichtlich, sondern auch wunderhübsch. Jeder wichtige NSC (und das sind nicht wenige) wird mit einem passfotogroßen Bild seines Kopfes dargestellt. Auf dem vorderen und hinteren Vorsatz sind zum einen eine Übersichtskarte der Südküste Frankas und zum anderen eine Karte von Toulon.

Hat man sich durch das Buch geblättert und die Optik genossen, folgt erstmal Arbeit. Wie bereits bei „In Thy Blood“, dem letzten, kürzeren Abenteuer-Band, muss man sich erst einmal einen Überblick verschaffen, bevor es spannend wird. Nach einem einleitenden Prolog folgt die Beschreibung der Region. Die wichtigsten Orte und Gegenden werden in kurzen Abschnitten beschrieben. Der Text ist toll geschrieben, keine Frage („Degenesis“ ist wahrscheinlich das einzige Rollenspiel, bei dem ich die erzählenden Vignetten lese, die teilweise die Kapitel einleiten), doch hilft der Stil nicht unbedingt, einen Überblick zu geben. Ich musste viel zwischen Karte und Text hin- und herblättern. Es ist lange her, dass ich das Grundregelwerk gelesen habe, sodass ich spontan nicht mehr parat hatte, was die einzelnen Kulte genau ausmacht. Ich muss dem Text wohl verzeihen, dass er mir dabei nicht unter die Arme greift, denn das ist schließlich ein Versäumnis meinerseits. Es werden aber häufiger Namen erwähnt, als müsste man wissen, um wen es sich dabei handelt. Das macht es auch nicht einfacher.

Aber das ist nun mal der Degenesis-Stil. Der Text ist – sieht man von einigen nervig-gekünstelten Metaphern ab – trotzdem gut, und nachdem man das Kapitel geschafft hat, geht es richtig zu Sache. Das zweite Kapitel beschreibt die verschiedenen Fraktionen in und um Toulon, ihre Ziele und Konflikte. Die Stadt wird von den Neolibyern beherrscht, die es verstehen, den Bewohnern zu geben, was sie wollen, doch gleichzeitig den Reichtum für sich zu beanspruchen. Das ist anderen Kulten ein Dorn im Auge. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen. Wir haben hier mehrere Fraktionen, die auf hartem Kollisionskurs sind. Piraten; eine Arbeiterbewegung, die sich ausgebeutet fühlt; Revolutionäre; Fanatiker – alle Zutaten für einen zünftigen Bürgerkrieg sind vorhanden. Den wichtigsten NSCs der jeweiligen Fraktionen wird jeweils eine Seite gewidmet. In einem schlauen Format erfährt der Leser alles, was er wissen muss. Hier entfaltet sich das ganze Potenzial des Buches. Die NSCs sind hervorragend beschrieben. Sie bieten Konfliktpotenzial und Stimmung und Wiedererkennungswert – alles, was eine gute Figur ausmacht. Hat man die ca. 40 Seiten gelesen, schreibt sich jedes Abenteuer praktisch von allein.

Bei all der Mühe, die im Aussehen des Buches steckt, vermisse ich schmerzlich Übersichtsgrafiken. Die Wiederholung der Karten im Buch mit einem Overlay mit kleinen Kästen und ein oder zwei Stichworten würde so unendlich viel weiterhelfen. Ebenso wäre ein Übersichtsdiagramm mit den verschiedenen Verbindungen zwischen den Fraktionen und den NSCs extrem hilfreich.

Kapitel drei des Buchs beschreibt das Abenteuer „Operation Mirage“. Hier ist Schnelligkeit angesagt. 72 Stunden, ein Bürgerkrieg und die Spieler mittendrin. Ob der Spielleiter die SC zunächst in die Gegend einbinden will oder sie ohne Vorbereitung ins Chaos stürzt, bleibt ihm überlassen. Wenn wir ehrlich sind, braucht man für Spannung keinen „emotionalen Kontakt“ zur Umgebung mehr, wenn erst einmal Gebäude in die Luft fliegen und Geschosse den Himmel verdunkeln. Ein wenig Vorbereitung macht den Bürgerkrieg aber selbstverständlich eindrucksvoller.

Um dem Spielleiter das Improvisieren zu erleichtern, werden der eigentlichen Handlung Listen mit Konversationsfetzen und Begebenheiten beim Durchqueren der kriegserschütterten Stadt vorangestellt. Das Abenteuer selbst wird in einer Reihe von Szenen beschrieben. Unabhängig davon welcher Fraktion die SC zu Beginn angehören, findet sich bald der wahre Feind und die verschiedenen Handlungsstränge laufen zusammen. Die Szenen sind mit viel wörtlicher Rede und beschreibendem Text gefüllt, was sich in diesem Fall schön lesen lässt und die Stimmung fördert. Die Handlung ist zwangsläufig recht gradlinig. Hier ist ein erfahrener Spielleiter gefragt, der bei Bedarf vom vorgegebenen Handlungspfad abweichen und wieder zurückfinden kann. Da der Druck konstant aufrechterhalten wird, sollte das keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten.

Das Abenteuer ist nicht direkt abgeschlossen, aber am Ende doch rund. Am besten man vergleicht es mit einem Staffelfinale, das einen Zwischenpunkt bildet, aber genug für die nächste Staffel offen lässt. So wird es der Auftakt zu einer längeren Kampagne, die vom Spieleiter gestaltet werden kann. Im letzten Kapitel des Buchs werden offene Handlungsfäden aufgenommen und bis zu einem weiteren Punkt weitergesponnen, der die SC tief verstrickt in die Handlung zurücklässt. Der Spielleiter erhält abschließend eine lange Spiegelstrichliste mit inhaltlichen Punkten, die hervorragend dazu geeignet sind, die Handlung selbst weiterzuspinnen.

Ein paar kurze Anhänge mit Ausrüstung, Spielwerten, einer großartigen Zeitleiste und anderen Kleinigkeiten schließen das Buch ab.

Fazit: „The Killing Game“ ist ein Mittelding aus Quellenbuch, Abenteuer und Kampagne. Es liefert in gelungenem Layout, mit tollen Texten und wunderschönen Bildern den Hintergrund für viele Spielabende. Ein komplettes actiongeladenes Abenteuer bildet den Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Es ist ein unterhaltsames Buch, nicht einfach zu leiten, aber stimmungsvoll und hervorragend gemacht.

Degensis – The Killing Game
Quellenbuch/Abenteuer
Marko Djurdjevic, Alexander Malik
Sixmorevodka 2017
208 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,90 (PDF), EUR 39,00 (HC)

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir dafür ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

21.07.17

Wir sprechen über Fallen

Daniel und ich haben mal wieder einen OSR-Podcast aufgezeichnet. Diesmal widmen wir uns einem Hörerwunsch, nämlich dem Thema Fallen im Rollenspiel. Das ist schon Teil sieben der Reihe. Wie die Zeit vergeht ...

Link zum Podcast

14.07.17

[Rezension] Nnedi Okorafor: Wer fürchtet den Tod

Nach „Lagune“ ist „Wer fürchtet den Tod“ der zweite Roman der Amerikanerin Nnedi Okorafor, der von Cross Cult nach Deutschland gebracht wird. Er handelt von der magisch-mystischen Reise einer unterdrückten jungen Frau und ihr Verlangen nach Rache. Okorafor entführt den Leser in eine stimmungsvolle Welt voller Grausamkeit.

Wir befinden uns in einem postapokalyptischen Afrika. Die dunkelhäutigen Okeke werden brutal von den hellhäutigen Nuru unterdrückt. Dazwischen – ausgestoßen aus beiden Welten – sitzen die Ewu, aus Gewalt geborene Mischlingskinder, denen nachgesagt wird, dass sie selbst zu Gewalt neigen. Onyesonwu ist ein solches Kind. Nach einem Vergeltungsschlag der Nuru nach einem Okeke-Aufstand wird das Dorf ihrer Eltern verwüstet und ihre Mutter von einem Nuru geschwängert. Doch anders als viele andere Frauen zerbricht ihre Mutter nicht daran, sondern zieht in die Wüste, überlebt und findet schließlich ein Dorf, das sie und ihre Tochter akzeptiert. Dort lernt Onyesonwu von ihrer Herkunft und entdeckt, dass sie magische Kräfte hat. Schließlich begibt sie sich auf eine lange Reise, um sich an ihrem Vater zu rächen.

Onyesonwu bedeutet auf Deutsch „Wer fürchtet den Tod“, ein passender Name für das Mädchen, das sich weigert, scheinbar unausweichliche Dinge zu akzeptieren. Mit Sturheit gelingt es ihr, einen Lehrer davon zu überzeugen, sie in Magie zu unterrichten und die gleiche Sturheit zieht sie schließlich auf ihren Rachefeldzug.

Die Autorin zeichnet eine faszinierende, magische Welt. Die modernen technischen Geräte – Handys und Computer – wirken darin fast schon ein wenig unpassend, auch wenn sie (oder vielleicht weil sie) nur selten in Erscheinung treten. Die Existenz von Magie in dem kleinen Wüstendorf, in dem Onyesonwu zur Schule geht und zur Frau wird, erscheint glaubwürdiger. Es ist keine nette Welt, in der das Mädchen groß wird. Nnedi Okorafor, die als Kind zweier nigerianischer Einwanderer in Amerika geboren wurde, greift unangenehme Themen auf: Rassenhass, Unterdrückung und Vergewaltigung als Waffe sind nur einige davon. In so einer Welt ist es kein Wunder, dass die Protagonistin von Hass angetrieben wird.

Die Sprache ist dicht und stimmungsvoll. Insgesamt liest sich der Text fast wie eine Legende, auch wenn der Romancharakter des kurzweiligen Buches insgesamt erhalten bleibt. Der Roman strahlt von der ersten Seite an eine Faszination aus, die den Leser jederzeit in der Geschichte hält. Egal, ob es die Wüste ist, die weit mehr als Sand und Wind das Leben ihrer Bewohner beeinflusst, oder die Dorfältesten, die auch dann an Traditionen festhalten, wenn diese grausam und unnötig erscheinen – alles wird lebendig und erlebbar geschildert.

Wer „Lagune“ gelesen hat und etwas Gleichwertiges erwartet, wird eine Überraschung erleben. „Wer fürchtet den Tod“ ist ein völlig anderes Buch, sowohl was Themen, Stil, aber auch Erzählgeschwindigkeit angehen. Der Autorin gelingt es aber genauso unterhaltsamen zu bleiben. Roman packt den Leser weniger an der Gurgel und hat langsamere Passagen, doch weiß er jederzeit zu gefallen. Wer glaubt, bereits alles zu kennen, sollte sich das Buch einmal ansehen. Vielleicht findet er etwas Neues.

Fazit: „Wer fürchtet den Tod“ ist die magische Reise eines Mädchens, das auszieht, um sich an ihrem Vater zu rächen und in einer brutalen Welt zu behaupten. Es ist ein toller Roman: faszinierend, stimmungsvoll und unterhaltsam. Man kann nur hoffen, dass Nnedi Okorafor noch viele weitere Romane schreibt.

Wer fürchtet den Tod
Roman
Nnedi Okorafor
Cross Cult 2017
ISBN: 978-3-95981-186-6
512 S., Klappbroschur, deutsch
Preis: EUR 18

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir dafür ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

09.07.17

Fate-Karten

Die "Fate-Karten" sind eine optionale Spielhilfe für das Universalrollenspiel Fate. Fate arbeitet normalerweise mit Würfeln, die +, - oder Null anzeigen. Vier davon werden geworfen, was Zahlen zwischen -4 und +4 ergibt. Die Karten können die Würfel komplett ersetzen. Aber sie können noch viel mehr.

Das kleine Kartenpaket enthält drei (bis vier) verschiedene Kartendecks. Zunächst sind da die 81 Würfelkarten, die eigentlichen Fate-Karten, die statt der Würfel eingesetzt werden können. Sie zeigen Zahlen von -4 bis +4, in der gleichen statistischen Verteilung wie vier Fate-Würfel. Der entsprechende Würfelwurf wird sogar auf den Karten einzeln aufgeschlüsselt abgebildet (also z. B. - - - - für -4 oder + - + + für +2). Der Verlag nutzt das Medium der Spielkarten aber noch auf andere Weise. Neben den Zahlen befinden sich zwei beschreibende Stichworte auf den Karten. Bei „0“ könnte da zum Beispiel „wie erwartet“ und „Alle Dinge im Gleichgewicht“ stehen, bei „-4“ sind es die Stichworte „erschreckende Unfähigkeit“ und „Komödie der Irrungen“. Doch das ist nicht alles. In der Mitte der Karten ist noch Platz für drei Symbole: Mond, Sonne und Finsternis. Das Finsternis-Symbol ist nur selten zu finden.

Die Kombination aus Worten, Symbolen und dem Zahlenwert kann vielseitig eingesetzt werden. Die Worte können als Hinweise dienen, um Erfolg oder Fehlschlag einer Probe zu beschreiben. Der Spielleiter kann sie als Zufallselement oder Inspiration für Entscheidungen oder eigene Beschreibungen nutzen. Für die Symbole wird vorgeschlagen sie bei variablen Stunts einzusetzen. Jede Sonne bedeutet vielleicht einen zusätzlichen Bonus und eine Finsternis ein besonderes Ereignis. Dem Spielleiter fallen sicher noch andere Einsatzmöglichkeiten ein.

Wirklich spannend wird es, wenn der Spielleiter weitere kreative Wege findet, die Karten zu benutzen. Man könnte ein paar Karten verteilen, die eingesetzt werden, anstatt zu würfeln - offen oder zufällig. Oder wie wäre eine Fertigkeit, die es erlaubt, in die Zukunft zu sehen? Der Spieler zieht eine oder zwei Karten und sieht damit zukünftige Würfelergebnisse vor sich. Unter besonderen Bedingungen kann der Spielleiter auch eine Karte in die Mitte legen, die das nächste Würfelergebnis innerhalb der Gruppe anzeigt. Oder es ist ein Modifikator für die nächste Probe. Möglichkeiten gibt es viele und es macht bestimmt Spaß mit ihnen zu experimentieren.

Neben den Zahlenkarten gibt es sechs hübsch bebilderte Karten mit den sechs Methoden von Turbo-Fate (die Fertigkeiten, die nicht angeben, was der Charaktere kann, sondern auf welche Weise er es macht, also z. B. Kraftvoll oder Tollkühn). Sie können für eine zufällige Charaktererschaffung benutzt werden - die erste Karte zeigt die Methode mit +3, die zweite die Methode mit +2 usw. Natürlich kann der SL damit auch NSCs erschafft.

Als Drittes gibt es neun Karten mit Konzepten wie Stärke oder Gedächtnis, ebenfalls mit hübschen Bildern versehen, und jeweils einer positiven und negativen Auslegung angelehnt an die Aspekte. Bei Stärke sind das beispielsweise “Kollateralschaden” und “Überwältigende Kraft”. Sie können eingesetzt werden, wenn jemand eine Inspiration für einen Aspekt benötigt. Es gibt sicher viele weitere Einsatzmöglichkeiten.

Als letztes gibt es acht Karten, die auf beiden Seiten die Kartenrückseite der anderen Karten zeigen. Ich vermute, das sind einfach Karten, die bei der Produktion abgefallen sind. Man könnte sie vielleicht als "Nieten" oder “Joker” für besondere Situationen einsetzten oder als Marker für Fatepunkte (wozu auch alle anderen Karten eingesetzt werden können). Eine handvoll Karten, die ein paar der Einsatzmöglichkeiten erklären, bilden den Rest des Spiels.

Fazit: Manche Spielhilfen offenbaren ihr Potenzial erst auf den zweiten Blick. Meine erste Reaktion war: "Was soll ich mit Karten, wenn ich Würfel habe?" Doch die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und laden zum Experimentieren ein. Wer gern ein wenig an den Regeln bastelt, ab und zu ein Stichwort benötigt, das seiner Kreativität auf die Sprünge hilft, oder einfach auf Karten steht, sollte unbedingt einen Blick auf die "Fate-Karten" werfen.

Fate-Karten
Spielhilfe
Uhrwerk 2016
EAN: 978-3-95867-01-8
110 Spielkarten
Preis: € 19,95

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir dafür ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

18.05.17

[Rezension] Manifest Destiny 4: Sasquatch


Die fantastische Reise in den unerforschten Westen der USA geht weiter. Die Reisenden mussten Rieseninsekten, menschenfressende Amphibien, Büffelzentauren und sogar Mooszombies überleben. Was mag wohl in der vierten Etappe der Reise auf sie warten?

Die Reisegruppe ist bereits ziemlich dezimiert worden. Nun naht der Winter und es muss ein Quartier gefunden werden. Doch zunächst gilt es weiter zu reisen. Es ist ein Weg, der auch vor ihnen bereits beschritten wurde, denn die Expedition von Captain Meriwether und Lieutenant Clark ist nicht die erste, die in diese unwirtliche Wildnis vordringt.

Die Geschichte beginnt mit dieser früheren Expedition. Knapp drei Jahre vor Meriweather und seiner Crew durchwanderte sie die gleiche Gegend. Auch sie mussten sich ein Winterquartier suchen, nachdem sie mehrere Male durch die Hölle gegangen waren. Sie mussten zusehen, wie ihre Kameraden von den in der Wildnis lebenden Monstern gefressen, zerrissen und zertrampelt wurden. Als dann endgültig die Nahrung ausgeht, sind einige zum Äußersten bereit, um zu überleben. Andere sind es nicht. Als schließlich ein Geist auftaucht und zeigt, wovon sich die Gruppe ernähren kann, erscheint es gar nicht so schlimm, dass der Tippgeber tot ist.

So begegnen sowohl der Leser als auch die Reisenden das erste Mal dem titelgebenden Sasquatch - einem formidablen Gegner, aber für die Gruppe auch eine Überlebenschance. Als Meriwethers Reisegruppe drei Jahre später auf die gleichen Wesen trifft, ist es kein Wunder, dass diese nicht so gut auf Menschen zu sprechen sind.

Die Geschichte springt zwischen den beiden Zeiten hin und her. Was damals geschah, hat wesentlichen Einfluss auf das, was heute geschieht – sogar mehr, als es zunächst den Anschein hat. Ich fand die Zeitsprünge zunächst ziemlich verwirrend. Bis ich überhaupt kapiert hatte, dass das Buch in der Vergangenheit beginnt, lagen bereits einige Seiten hinter mir. Vielleicht war das meiner Unaufmerksamkeit zu verdanken, aber ehrlich: Wer liest schon die Jahreszahlen, die ab und zu in den Sprechblasen auftauchen?

Als ich aber begriffen hatte, dass zwei Geschichten erzählt werden, riss mich die Geschichte voll mit. Die Zeichnungen und Dialoge sind gewohnt gelungen, die Story ist jedoch anders als die bisherigen. Sie offenbart Geheimnisse, die zuvor nur angedeutet wurden. Mir hat der Band bisher am besten gefallen. Einziges Manko ist, dass er keinen echten Abschluss hat. Für eine Auflösung müssen wir auf die nächsten Bände warten. Wenn die Geschichte so spannend bleibt, warte ich aber gern.

Fazit: Der vierte Band der Reihe ist wieder völlig anders als die vorherigen. Bisher nur angedeutete Geheimnisse treten offen ins Tageslicht, ohne wirklich aufgelöst zu werden. Ein spannender Band, der den nächsten praktisch zur Pflichtlektüre werden lässt.

Manifest Destiny 4: Sasquatch
Comic
Chris Dingess, Matthew Roberts, Owen Gieni
Cross Cult 2017
ISBN: 978-3-95981-031-9
128 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 20

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir dafür ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

12.05.17

Dumm muss nicht dumm handeln

Der Punkt ist mir das erste Mal aufgefallen, als ich die Old-School-RPG-Fibel redigiert habe. Zitat:

Das Können des Spielers wird zum Schutzengel des Charakters – nenne es das Glück des Charakters oder seine Intuition oder was auch immer dir passend erscheint, aber halte dich als Spieler nicht zurück, nur weil dein Charakter einen niedrigen Intelligenzwert besitzt. Rollenspiel ist Teil des Spiels, aber es ist kein Bündnis mit deinem Charakter zum Selbstmord.

Das trifft ein Problem, dem ich zwar schon häufiger über den Weg gelaufen bin, das ich mir aber noch nie richtig bewusst gemacht habe. Ich spiele keine dummen Charaktere - jedenfalls nicht lange. Ich habe das schon probiert: Mal den dummen Haudrauf spielen, stark aber geistig langsam. Das kann richtig Spaß machen. Aber nur für eine kurze Zeit. Ziemlich schnell stelle ich fest, dass sich so ein Charaktere aus vielen Bereichen des Spielabends ausschließt. Das mag für Spieler funktionieren, die sich gern zurücklehnen, dem Spektakel zugucken und sich nur einmischen, wenn es jemanden aufzumischen oder ein paar witzige Sprüche beizusteuern gibt. Für mich ist das nichts. Rätsel lösen, Pläne schmieden, Strategien entwickeln ... all die coolen Sachen, die ein Rollenspiel überhaupt erst interessant machen, darf ich nicht tun, wenn ich meinen dummen Charakter "richtig" spielen will.

Matt Finchs Old-School-Ansatz ergibt für mich mehr Sinn. Ein dummer Charakter kann Spaß in eine Runde bringen und ist entspannend zu spielen. Aber ich möchte nicht von der Hälfte des Spiels ausgeschlossen werden. Ich als Spieler kann ruhig mitplanen und miträtseln, wenn ich dann wieder meinen Charakter spiele, hat er eben Glück, eine gewisse Bauernschläue oder Erfahrungen, die bestimmte Überlegungen instinktiv kommen lassen.

"Aber was ist mit Immersion, mit Rollenspiel, Charakterdarstellung und Realismus?", rufen jetzt Einige. Diese verweise ich an meinen vorletzten Post.

11.05.17

[Rezension] Brix

„Brix“ ist ein kurzes Zwei-Personen-Taktikspiel und sieht gleich auf den ersten Blick irgendwie „nett“ aus. Die Beschreibung auf der Kastenrückseite und die Optik erinnern (aus gutem Grund) an „Vier gewinnt“ oder „Tic-Tac-Toe“. Es kann in mehreren Schwierigkeitsstufen gespielt werden, ist für eine breite Altersstruktur ausgelegt und verspricht einfach, schnell und knifflig zu sein.

Die Farben von „Brix“ sind orange und blau. Durch den teilweise durchsichtigen Deckel sieht man sofort, was man kauft: Würfel, die immer in Paaren zusammengesetzt sind, je ein blauer und ein orangefarbener Würfel. Die Seiten tragen X- und O-Symbole wie man sie aus dem Spiel Tic-Tac-Toe kennt.

Die Regeln schnell erklärt: Zwei Spieler sitzen sich gegenüber und wählen jeder eine Farbe aus. Dann setzen sie abwechselnd je einen Doppelstein, sodass nach und nach eine Mauer aus Steinen entsteht. Ziel ist es, eine Viererreihe der eigenen Farbe zu erhalten. Wer jemals das alte Spiel „Vier gewinnt“ gespielt hat, erkennt das Prinzip sofort. Der Unterschied ist hier natürlich, dass man nicht nur seine eigene Farbe, sondern wegen der Natur der Doppelwürfel auch die des Gegners setzt. Sollte man eine Viererreihe zusammensetzen, gleichzeitig aber auch eine weitere für den Gegner, verliert man.

Wozu aber sind die X und O auf den Steinen? Zunächst kann man, sollte man das bevorzugen, statt mit Farben mit den Symbolen spielen. Der eigentliche Zweck der Symbole ist es aber, das Spiel zu erweitern. Sie ermöglichen zwei zusätzliche Spielvarianten. Auf der nächsten Schwierigkeitsstufe wählt ein Spieler „Farben“ und der andere „Symbole“. Ziel ist es nun für den einen eine Reihe aus entweder blauen oder orangefarbenen Steinen zu bekommen und für den anderen eine Reihe aus entweder X- oder O-Symbolen. Wer es noch ein kleines Bisschen schwieriger machen will, nimmt die dritte Variante. Hier wählt ein Spieler blau und O und der andere orange und X, ansonsten bleiben die Regeln gleich.

Ich habe Testspiele mit allen drei Varianten gemacht. Die taktische Tiefe ergibt sich nach ein paar Spielen. Sie ist zwangsläufig etwas beschränkt, aber tiefer, als es auf den ersten Blick vielleicht den Anschein hat. Wir hatten jedenfalls Spaß, konnten nebenbei Quatschen und ein Bier trinken. Die beiden letzten Varianten unterscheiden sich nur wenig, aber es ist schön, wenn ein Taktikspiel wie „Brix“, das so einfach und kurz ist, mehrere Spielmöglichkeiten bietet. Mit den höheren Schwierigkeitsstufen kann man den Wiederspielwert erheblich erhöhen.

Fazit: „Brix“ erinnert an den alten Klassiker „Vier gewinnt“. Wer das immer noch mag, wem es aber zu simpel geworden ist, der bekommt eine würdige Alternative geboten, die abhängig von der gewählten Spielvariante ein oder zwei Ebenen hinzufügt und erweitert. Es ist ein schönes kleines Spiel für „Zwischendurch“, ohne Aufwand, schnell erklärt und schnell gespielt.

Brix
Brettspiel
Charles Chevallier, Thierry Denoual
Pegasus Spiele 2017
Preis: EUR 19,95

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Sie basiert auf ein Rezensionsexemplar des Verlags.]

30.04.17

Realismus ist für Leute, die Spaß für optional halten

Dies ist ein Gedanke, den ich, glaube ich, schon lange verinnerlicht habe. Ich erinnere mich jedenfalls an Situationen, in denen ich mich entsprechend verhalten habe. Vor kurzem stieß ich auf eine Reihe von Blogartikeln, die den Gedanken ins Zentrum allen Abenteuerdesigns gerückt haben. So habe ich das erste Mal bewusst darüber nachgedacht.

Die Idee ist folgende:

Nicht Realismus sollte das Designziel von Abenteuern sein, sondern der Spaß der Spieler. Spaß kommt im Rollenspiel aus interessanten Entscheidungen - vielleicht nicht ausschließlich, aber hauptsächlich. Charakterdarstellung, Immersion, Grusel, Spannung ... all das ist nichts ohne interessante Entscheidungen. Wenn man folgerichtig interessante Entscheidungen in den Mittelpunkt des Abenteuerdesigns und Spielleitens rückt, muss der Realismus manchmal weichen.

Ein paar Beispiele (die meisten davon aus den verlinkten Blogartikeln):

Gruppenaufteilung:

Vor langer Zeit leitete ich das geniale Cthulhuabenteuer Die Froschkönigfragmente. Das Abenteuer beginnt in Göttingen. Die Charaktere werden beauftragt einen Professor zu suchen, der vor ein paar Tagen verschwand. Die Spur führt in eine Kleinstadt namens Sehusen, wo der Großteil des Abenteuers stattfindet. Neben Sehusen wird aber auch Hannover erwähnt. Es ist keine echte Spur, die dorthin führt, aber Spieler können durchaus auf die Idee kommen, auch dort nachforschen zu wollen. In Hannover passiert aber nichts. Als meine Gruppe beschloss, sich aufzuteilen - eine Hälfte fährt nach Sehusen, die andere nach Hannover - war ich in einer blöden Situation. Natürlich hätte ich Hannover improvisieren können, aber nicht an diesem Abend. Ich war dazu nicht aufgelegt. Die eine Hälfte hätte also herumgesessen, während die andere das eigentliche Abenteuer erlebt. Meine Entscheidung war Offenheit: Ich sagte der Gruppe, dass sie in Hannover nichts herausfinden und sich alle einen halben Tag später in Sehusen treffen.

Realistisch war das nicht. Der Zeitablauf hätte ein anderer sein müssen. So aber war die Situation innerhalb von 30 Sekunden aufgelöst und alle gemeinsam konnten weiter das spannende Abenteuer erleben.

Der unzuverlässige Auftraggeber:

Der Spielleiter hat ein Abenteuer vorbereitet. Der Auftraggeber verspricht ein magisches Schwert als Belohnung. Einer der Spieler kommt auf die Idee, dass das Schwert unecht sein könnte. Vielleicht will der Auftraggeber die Charaktere bescheißen. Der Spielleiter sagt den Spielern, dass das Schwert echt ist und sie den Auftrag getrost annehmen können. Realistisch? Nein. Im anderen Fall hätten die Spieler aber raten müssen. Sie wären ggf. nicht auf den Auftraggeber sauer gewesen, sondern auf den Spielleiter, denn in dieser Situation konnten sie keine informierte Entscheidung treffen, sondern mussten "Was denke ich wohl gerade?" mit dem Spielleiter spielen. Das ist blöd und langweilig. Außerdem wollen alle endlich mit dem Abenteuer loslegen und sich nicht mit so einem Quatsch auseinandersetzen.

Fallen:

Interessante Fallen bringen interessante Entscheidungen. Dazu muss man sie finden und sie dürfen nicht sofort töten. Realistische Fallen wollen aber nicht gefunden werden. Noch extremer ist die potenzielle Gefahr von Fallen. Wenn die Spieler jede Tür, jedes Schloss und jeden Raum erst aufwendig nach Fallen untersuchen, weil sie jederzeit damit rechnen müssen, dass der Spielleiter ein lautes "Ha! Erwischt!" von sich gibt und dann eine Falle zuschnappen lässt, ist das unvorstellbar langweilig. Weniger Realismus bedeutet hier eindeutig mehr Spielspaß.

(Daniel und ich haben vor kurzem einen Podcast zu Fallen aufgenommen. Wer sich für unsere genau Meinung zu Fallen interessiert, möge ihn sich anhören. Er ist unterhaltsam - ehrlich :-) )

Leere Räume:

Leere Räume im Dungeon sind langweilig? Von wegen! Der Spielleiter muss sich nur darauf konzentrieren, Dinge zu beschreiben, die interessante Entscheidungen bewirken. Im oben verlinkten Hack-and-Slash-Blog wird es folgendermaßen beschrieben: "Ihr betretet ein Schlafzimmer. An interessanten Dingen seht ihr einen Schrank, ein Kästchen und ein an der Wand hängenden goldenen Schild." Realistischerweise müssten die Charaktere auch das Bett untersuchen, dass sicherlich in diesem Schlafzimmer steht, und vielleicht den Boden und all die anderen Dinge, die herumstehen könnten. Doch das wäre langweilig. Der Spielleiter gibt eine Auswahl vor, diese kann untersucht werden und das war's.

Bei einer Ansammlung von leeren Räumen kann man sogar noch extremer vorgehen: "Im Westflügel gibt es nichts zu finden. Was macht ihr im Ostflügel?" Oder: "Im Westflügel gibt es nur wenig zu finden. Wenn ihr ihn komplett untersuchen wollt, dauert das drei Stunden und ich würfele zweimal auf der Tabelle für Zufallsbegegnungen. Wollt ihr das?"


Gibt es für die vier Beispiele Möglichkeiten, den Realismus aufrecht zu erhalten und trotzdem Spaß zu haben? Sicherlich. Klappt das immer? Nein. Es sitzen reale Leute um den Tisch herum, Leute, die vielleicht nicht immer 100%ig aufmerksam sind, Leute, die mal mehr, mal weniger kreativ sind. Leute, die wissen, dass der Spielleiter der Erfinder bzw. das Sprachrohr des Erlebten ist und keine reale Welt mit realen Gegebenheiten dahintersteckt. Leute, die sich in bestimmten Situationen eher vom Spielleiter hereingelegt fühlen als vom Abenteuer. Um interessante Entscheidungen treffen zu können, benötigen die Spieler Informationen und manchmal ist es nicht realistisch, dass sie die Informationen haben. Doch das ist egal, Hauptsache ist, sie bekommen sie.

--

Dieser Artikel steht unter einem neuen Label: "Abenteuer gestalten". Ich schreibe zurzeit ein Buch mit diesem (Arbeits-) Titel und hoffe, dass es noch dieses Jahr fertig wird. Vielleicht kommt der Artikel, wie er ist, ins Buch, vielleicht auch nicht. Wenn ich in Zukunft etwas Interessantes über Abenteuerdesign finde, wird es dieses Label tragen.