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23.01.19

[Rezension] New Hong Kong Story

„New Hong Kong Story“ ist ein Rollenspielregelwerk, mit dem man Hong-Kong-Action-Filme spielen kann. Es ist eine Indie-Produktion von einem echten Fan und bietet alles, was man braucht, um die Fäuste, Schwerter oder Kugeln fliegen zu lassen.

Hong-Kong-Action ist ein wenig beackertes Feld im Rollenspiel. „New Hong Kong Story“ (im Folgenden NHKS) bietet einen interessanten Ansatz für Fans des Genres - oder ganz generell Fans von Rollenspielen mit überbordender Action. Die Spieler spielen Schauspieler, die dann wiederum Rollen in Filmen übernehmen. Die Filme sind die Abenteuer. Das Ergebnis ist eine Kampagne mit viel Abwechslung - können die Spieler doch alles von knallharter Gangster-Action bis hin zu Wuxia-Fantasy erleben -, die dennoch eine Charakterentwicklung ermöglicht, auch wenn diese zugegebenermaßen etwas anders ausfällt, als man es von anderen Spielen gewohnt ist.

Zunächst erschaffen die Spieler die Schauspieler, die in zukünftigen Filmen mitwirken sollen. Sie sind Neulinge auf dem Gebiet und ihr Martial-Arts-Können befindet sich noch im Anfangsstadium. Die Schauspieler liefern die Grundlage: Kampfkünste, grundlegende Fertigkeiten und Besonderheiten und Marotten (Vor- und Nachteile). Der Spielleiter entwirft für seinen Film Rollen, die diese Grundeigenschaften ergänzen. Bestimmte Fertigkeiten kommen dazu oder werden erhöht. Vielleicht hat die Rolle zusätzliche Vor- oder Nachteile. Die Rollen werden zu Beginn des Spiels verteilt. Falls sich die Spieler nicht einigen können, gibt es ein Bietsystem für die Verteilung.

Die Regeln unterstützen dieses Spiel im Spiel nicht nur durch passend gewählte Beispiele, sondern auch durch passende Mechanismen. Die Charaktere sammeln während ihrer Karriere beispielsweise Starruhmpunkte (Erfahrungspunkte), was ihre Berühmtheit und ihr Können widerspiegelt. Denken sich die Spieler besonders abgefahrene Stunts aus, sind diese zwar schwieriger durchzuführen, belohnen den Schauspieler aber bei Gelingen mit zusätzlichen Starruhmpunkten. Der Text macht hauptsächlich in den vielen Beispielen klar, dass die Gruppe nie vergessen soll, dass sie in einem Film ist. Als netter Nebeneffekt ist sogar der Charaktertod kein Problem. Der Schauspieler lebt ja weiter und kann im nächsten Film wie gewohnt Hintern versohlen.

Das Regelsystem ist ein robustes, funktionales, auf Einfachheit und Genreemulation ausgelegtes 90er-Jahre-Design. Es gibt Attribute und Fertigkeiten. Es gibt Vor- und Nachteile, wobei Nachteile Punkte bringen, die wiederum für positive Dinge ausgegeben werden können. Handlungen, die schwieriger durchzuführen sind, bekommen Mali. Das widerspricht vielen modernen Regelwerken, die sich im Action- und Film-Genre bewegen. Ich hätte erwartet, dass coolere Beschreibungen Vorteile bringen statt Mali, wie es beispielsweise in „7te See Second Edition“ geregelt ist. Nachdem sich die Überraschung gelegt hatte, begann ich aber den Sinn dahinter zu sehen. Statt sich auf irgendwann ermüdende Beschreibungen von möglichst viel Coolness zu verlassen, werden hier taktische Entscheidungen getroffen. Die Stunt-Mechanik unterstützt das zusätzlich.

Besonderes Augenmerk wird erwartungsgemäß auf verschiedene Martial-Arts-Stile gelegt. Der Schauspieler erlernt verschiedene Stile. Sein Können wird durch insgesamt sechs Stufen beschrieben, die er in jedem Stil erreichen kann. Mit jeder Stufe beherrscht er mehr und mächtigere Techniken. Die Beschreibungen sind gut gelungen. Ich habe keine Ahnung von Kung Fu und dennoch konnte mir der Text vermitteln, wie die Anwendung der Stile im Film ungefähr aussehen müsste.

Auf keinem neuen Rollenspielregelwerk darf der Hinweis fehlen, dass es einfach und unkompliziert ist. So wird natürlich auch hier im Klappentext auf eben diesen Umstand hingewiesen. Auch wenn viele Dinge in Hinblick auf Einfachheit designt wurden, gelingt das aber nicht überall. Es gibt beispielsweise einen ganzen Haufen Punkte zu verwalten. Starruhmpunkte spiegeln die Erfahrung wider. Chi-Punkte sind die Energie, die die besonderen Kräfte der Rollen und der Schauspieler speisen. Sie werden beispielsweise ausgegeben, um Kampfkunsttechniken anzuwenden. (Noch so ein klassischer Fall von 90er-Jahre-Design. Wenn die Punkte verbraucht sind, kann der Schauspieler im Film nicht mehr cool sein. Auf der anderen Seite bringen sie ein taktisches Element ins Spiel, was ich persönlich begrüße.) Trefferpunkte werden durch Schaden reduziert. Mit Take-2-Punkten können Proben wiederholt werden und Award-Punkte weisen auf Film-Awards hin. Schlussendlich verteilt der Spielleiter Cine-Punkte während des Filmdrehs, die angeben, wie viel Ruhm sich der Schauspieler mit coolen Stunts und markigen Sprüchen erspielen konnte. Das ist dann doch etwas zu viel Verwaltungsarbeit, zumal die Punkteanzahl von Treffer- oder Chi-Punkten auch durchaus dreistellig werden kann.

An anderen (zum Glück wenigen) Stellen wird der Spielleiter allein gelassen. Über daoistische Magie hätte ich beispielsweise gern mehr gelesen als die vorliegende eine Textspalte. Bis auf ein paar Kleinigkeiten ist es am Spielleiter zu entscheiden, was die Rolle damit anfangen kann. Für die Handhabung von Patzern bei Stunts sind mir die Hinweise ebenfalls zu vage. Generell habe ich nichts dagegen, wenn ich als Spielleiter Entscheidungen treffen soll. Meist bedeutet das nur, dass ich eine Tabelle weniger beachten muss und die Entscheidung treffen kann, die mir am sinnvollsten erscheint. Dennoch hätte ich beispielsweise gern so etwas wie das „Fail-Forward“- oder ein anderes Konzept gesehen, das sich mit dem Scheitern der Film-Protagonisten beschäftigt.

Auch wenn ich das Design stellenweise etwas altbacken finde, mag ich es. Es ist konsequent und „rund“. Die kleinen Lücken, die sich hier und da auftun, werden locker durch die Liebe zum Genre wettgemacht, die aus jeder Seite tropft. Immer wieder gibt es kleine Fußnoten mit Informationen für den Filmfan. Ein langer Anhang beschreibt viele Filme. Die Spielleitertipps sind passend. Es gibt Namenslisten für viele (hauptsächlich asiatische) Nationen. Die vielen Beispiele untermauern anschaulich, wie sich NHKS-Erfinder Christian Blaßmann ein Spiel vorstellt.

Das Softcover ist von guter Digitaldruckqualität. Die Illustrationen sind größtenteils extrem flächige Schwarzweißzeichnungen - fast schon Schattenrisse. Farbe ist vorhanden, aber extrem selten. Das Layout ist übersichtlich und funktional. Für ein Hobbyprodukt dieser Art gibt es an der Gestaltung nichts auszusetzen, auch wenn das Buch sicherlich keine Auszeichnungen für sein Aussehen gewinnen wird. Der Preis von 25 Euro ist für ein komplettes, über 300 Seiten umfassendes Regelwerk ebenfalls gut. Aktuell gibt es zusätzlich für 35 Euro eine Spezialausgabe, die in alter chinesischer Manier gebunden ist, und wer Glück hat kann vielleicht noch eine der auf 50 Stück limitierten, handgebundenen Spezialausgabe mit besonderem Papier ergattern, die allerdings so gut wie ausverkauft und nur noch auf Messen erhältlich ist.

Fazit: Ich mag „New Hong Kong Story“. Das Spiel hat Flair und man merkt den Machern die Liebe zum Genre an. Das Konzept des Filmdrehs findet man selten und bringt sicherlich viel Spaß. Die Regeln sind vielleicht nicht modern, wer aber wie ich sehr viel Spielzeit in den 90er Jahren verbracht hat, wird sich sofort heimisch fühlen. Die Konzepte sind aufeinander abgestimmt, nicht zu kompliziert und sollten auch längeren Kampagnen standhalten.

New Hong Kong Story
Grundregelwerk
Christian Blaßmann, Elfi Heck, Bradly Deng
Black Mask (Eigenverlag), 2018
ISBN: keine
334 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 25 (bzw. EUR 35 für die Spezialausgabe)

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

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