08.04.16

Cthulhu 7 ist cooler, als ich dachte

Es gibt doch bestimmt irgendwo eine Schreibregel, die besagt, dass man das Fazit nicht in die Überschrift packen soll. Egal.

Da ich mit meiner Gruppe ein halbes Jahr Cthulhu spielen werde (sieben längere Spielabende, wenn alles klappt), habe ich mich etwas genauer mit der neuen Edition befasst. Ich hatte mir bereits ein paar Rezis und Videos zum Thema angeschaut. Die dort erwähnten Neuerung sind alle gut und richtig, können aber zwangsläufig nicht auf Details eingehen. Wie ich jetzt feststelle, sind es aber die Details, die die neue Edition gut machen.

Wer die Rezis kennt oder die empfehlenswerten Schnellstartregeln gelesen hat, kann den bräunlichen Text überspringen.

Cthulhu sollte mordernisiert werden, ohne eine Abwärtskompatibilität zu gefährden. 30 Jahre an Rollenspielmaterial, häufig liebevoll in den Regalen von Sammlern gehortet, sollten nicht ihren Wert verlieren. Das ist gelungen, auch wenn die Neuerungen einigen Kritikern erwartungsgemäß nicht weit genug gehen. 

Ein wichtiger Kritikpunkt war, dass die Attribute in einer Skala von 3 bis 18 waren, alles andere in einer Prozentskala. Ich habe diese Kritik immer für Quatsch gehalten, geboren aus irgendwelchen theoretischen Überlegungen, die am Tisch wenig Bestand haben. Die Methode, Attributswerte für Proben einfach mit 1 bis 5 zu multiplizieren, fand ich einleuchtend und praktisch. Aber Multiplikationen sind ja ebenfalls verpönt. Cthulhu 7 arbeitet endlich mit Attributen in Prozenskala. Es sind einfach die alten Werte mit 5 multipliziert. 

Alle Fertigkeits- und Attributswerte werden in drei Stufen auf dem Bogen notiert: der eigentliche Wert, der halbierte Wert für schwierige Proben und ein Fünftel des Wertes für extreme Proben. Damit wurde etwas auf den Charakterbogen aufgenommen, das schon immer existiert hat, früher waren es nur schwere Proben und kritische Erfolge. Die drei Werte werden jetzt allerdings gewinnbringend ins Regelwerk eingebaut, vor allem im Kampf.

Man kann Proben forcieren, d. h. wenn eine Probe misslingt, kann der Spieler beschreiben, wie er es nochmal versucht. Der Spielleiter legt dann eine Konsequenz fest, wenn es dieses Mal wieder nicht klappt, die schwerwiegender sind als ein "normales" Scheitern. Außerdem gibt es Bonus- und Malus-Würfel, die unter bestimmten Umständen eingesetzt werden, meist wenn es um vergleichende Proben oder Kampf geht.

Ein von Mana unabhängiger Glückswert ist ebenfalls neu. Er ist eine Ressource, die verbraucht werden kann, um gescheiterte Proben nachträglich doch noch zum Erfolg zu bringen (ohne sie zu forcieren).

Das sind mehr oder weniger die augenfälligsten Änderungen. Ein neuer Wert "Statur" kommt dazu, der aber nur selten zum Einsatz kommt. Und natürlich wurde die Anzahl der auf dem Charakterbogen notierten Fertigkeiten verkleinert. Abgesehen davon, dass es jetzt Kampffertigkeiten nach Waffengruppen gibt und nicht mehr für jede Waffe einzeln, ist das aber nur ein kosmetischer Eingriff. Statt Anthropologie 50 % steht jetzt halt Wissenschaft (Anthropologie) 50 % auf dem Bogen und wird als Spezialisierung gehandhabt. 

Nun zu den Details, die mir so gut gefallen. Die drei Stufen an Fertigkeiten werden wirklich gut eingesetzt. Will man zum Beispiel eine vergleichende Probe ausführen, sagen wir, Verborgen bleiben gegen Verborgenes Erkennen des Gegners, würfelt nur der Spieler. Hat der Gegner einen Wert von max. 49 %, würfelt er eine normale Probe, bei einem Wert von 50 % oder mehr würfelt er eine schwierige Probe und bei 90 % oder mehr eine extreme. Auch im Kampf kommen die drei Stufen immer wieder zum Einsatz. Will eine angegriffene Person nur Ausweichen, reicht die gleiche Erfolgsstufe wie die des Angreifers, um allem Schaden zu entgehen. Will sie allerdings einen Gegenangriff starten, muss sie besser sein als der Angreifer, wenn es ihr aber gelingt, verursacht sie ihrerseits Schaden. Das gilt natürlich nur für den Nahkampf. Bei Schusswechseln ist Ausweichen schwieriger. Gelingt eine entsprechende Probe, erhält der Angreifer einen Strafwürfel, kann aber immer noch treffen. Überhaupt ist der Einsatz von Bonus- und Strafwürfeln vorbildlich. Es wird eine Schwierigkeitsstufe für den Angriff festgelegt. Alle verändernden Umstände wie ein Kampf gegen eine Überzahl Gegner oder eine Sichtbeschränkung eines der Kämpfer wird über Bonus- und Maluswürfel geregelt. Keine Tabellen mit Zahlen für Kampfmodifikatoren mehr.

Noch besser gefällt es mir, wie der Wahnsinn in Cthulhu 7 geregelt wird. Immer noch gibt es die gewohnten drei Stufen: kurzfristiger Wahnsinn ("Geistige Umnachtung"), mittelfristiger Wahnsinn ("Geistesgestörtheit") und dauerhaft irre ("Völliger Wahnsinn"). Die Detailregelungen sind aber wesentlich spielbarer und eingängiger geworden. Der Wahnsinn läuft in zwei Stufen ab: Der erste Anfall dauert nur 1W10 Runden, in denen der Spielleiter die Spielfigur kurz übernimmt. Eine sinnvolle Tabelle gibt Tipps, was der SL mit der Figur machen kann. Ein Anfall kann länger dauern, wird dann aber vom SL zusammengefasst. Der SC könnte z. B. ohne Erinnerung in einer Gasse aufwachen oder er flieht panisch. Danach folgt eine Phase unterschwelligen Wahnsinns, in der die Figur wieder vom Spieler übernommen werden und relativ normal handeln kann. Verliert sie noch einmal geistige Stabilität (und wenn es nur ein Punkt ist), erleidet sie einen erneuten Anfall. Der unterschwellige Wahnsinn hat weitere vom Spielleiter festgelegte Auswirkungen. Der Investigator sollte jedenfalls in der nächsten Zeit seine Sinne hinterfragen (oder nicht, wenn es positives Chaos am Spieltisch verursacht). Bei jedem Anfall, egal ob kurz oder lang, kann der Spielleiter einen Fakt auf dem Charakterbogen des SC hinzufügen: einen starren Blick etwa oder eine Phobie, ein vergrämter Verwandter o. ä. Das klingt für mich wesentlich spielbarer als die Wahnsinnsregeln in den alten Editionen, ohne allerdings wesentliche Regelelemente zu ändern. Ich werde erleben, wie es sich am Spieltisch anfühlt.

Es gibt noch mehr, z. B. Kampfmanöver, die einfach und sinnvoll umgesetzt werden. Ich werde bestimmt weitere Details finden. Noch habe ich das Buch nicht komplett durch. Ich bin z. B. sehr gespannt, wie sich die Zauberei geändert hat. Die Verfolgungsregeln habe ich mir bisher gespart. Sie sind zwanzig Seiten lang. Das erscheint mir einfach zu viel, auch wenn Verfolgungen in einem Horrorspiel eine wichtige Rolle einnehmen.

Der Hauptvorteil von den bisherigen Editionen war die Einfachheit. Gib einem totalen Anfänger einen ausgefüllten Charakterbogen, und er weiß in zwei Minuten, was er tun muss. Prozente sind einfach zu begreifen. Hier sehe ich bisher den einzigen Nachteil. Durch die drei Zahlenwerte bei jedem Eintrag erhält der Bogen eine neue Komplexität - zwar überschaubar, aber dennoch ein klein wenig komplexer.

Mal gucken, was mein erster Spieltest mit vollständigen Regeln so bringt. Insgesamt könnte Cthulhu 7 für mich jedenfalls den neuen Platz als Das beste Rollenspiel der Welt (TM) einnehmen, was bisher die alten Editionen taten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen