04.08.17

[Rezension] Degenesis: The Killing Game

“The Killing Game” ist das neueste Quellenbuch und Abenteuer für “Degenesis”. Das bedeutet opulent bebilderte, mythisch angehauchte Endzeit. Der Klappentext lautet schlicht: „Toulon muss brennen“, und das ist Programm.

Quellenmaterial für „Degenesis“ erscheint nicht jeden Tag. Die Macher sind nur wenige, und sie lassen sich Zeit, jeweils das beste Produkt zu machen, dass ihnen möglich ist. Dafür erwartet die Leser auch immer etwas Besonderes. „Degenesis“ ist ein Gesamtkunstwerk. Die Macher wollen sich sowohl textlich als auch mit Bildern und Layout vom bunten Einheitsbrei abheben. Es sind engagierte Fans, die jeweils können, was sie tun und all ihr Know-How und ihre Begeisterung in die Produkte einfließen lassen. Laut Degenesis-Forum sind sowohl die Patronen als auch das Blut auf dem Cover echt – die Macher meinen es offensichtlich ernst. Grundregelwerk und Quellenbände sind zu einem Drittel Artbooks, zu einem Drittel in Text gegossene Stimmung und zu einem Drittel Spiel. Das bedeutet, dass das Spiel eben nur ein Drittel von allem ausmacht. Wer einfache Texte erwartet, die er überfliegen und sofort losspielen kann, wird enttäuscht werden. Aber das Buch macht Spaß, ich denke, das ist die Hauptsache.

Das Buch ist außen schlicht, wie alle Bücher der aktuellen Edition. Das Layout ist aufgeräumt und schön anzusehen. Schwarze Seiten mit weißer Schrift werden als Kontrast zu den üblichen Schwarz-auf-hell-Seiten genutzt, um Inhalte abzuheben und Abwechslung zu bieten. Linien, Symbole und Schriftarten werden hervorragend eingesetzt. Dabei bleibt alles immer übersichtlich und gut zu lesen. Toll. Zur Bebilderung kann man eigentlich nichts sagen, was nicht bereits vielfach über „Degenesis“ gesagt wurde: Sie ist fantastisch. Ein paar Bilder spielen mit Licht und Schatten und lassen den Leser innehalten, um sie sich genauer anzusehen und die Details zu genießen. (Die Fotos werden dem kaum gerecht.) Eine 3D-Karte von Toulons großem Palast ist nicht nur übersichtlich, sondern auch wunderhübsch. Jeder wichtige NSC (und das sind nicht wenige) wird mit einem passfotogroßen Bild seines Kopfes dargestellt. Auf dem vorderen und hinteren Vorsatz sind zum einen eine Übersichtskarte der Südküste Frankas und zum anderen eine Karte von Toulon.

Hat man sich durch das Buch geblättert und die Optik genossen, folgt erstmal Arbeit. Wie bereits bei „In Thy Blood“, dem letzten, kürzeren Abenteuer-Band, muss man sich erst einmal einen Überblick verschaffen, bevor es spannend wird. Nach einem einleitenden Prolog folgt die Beschreibung der Region. Die wichtigsten Orte und Gegenden werden in kurzen Abschnitten beschrieben. Der Text ist toll geschrieben, keine Frage („Degenesis“ ist wahrscheinlich das einzige Rollenspiel, bei dem ich die erzählenden Vignetten lese, die teilweise die Kapitel einleiten), doch hilft der Stil nicht unbedingt, einen Überblick zu geben. Ich musste viel zwischen Karte und Text hin- und herblättern. Es ist lange her, dass ich das Grundregelwerk gelesen habe, sodass ich spontan nicht mehr parat hatte, was die einzelnen Kulte genau ausmacht. Ich muss dem Text wohl verzeihen, dass er mir dabei nicht unter die Arme greift, denn das ist schließlich ein Versäumnis meinerseits. Es werden aber häufiger Namen erwähnt, als müsste man wissen, um wen es sich dabei handelt. Das macht es auch nicht einfacher.

Aber das ist nun mal der Degenesis-Stil. Der Text ist – sieht man von einigen nervig-gekünstelten Metaphern ab – trotzdem gut, und nachdem man das Kapitel geschafft hat, geht es richtig zu Sache. Das zweite Kapitel beschreibt die verschiedenen Fraktionen in und um Toulon, ihre Ziele und Konflikte. Die Stadt wird von den Neolibyern beherrscht, die es verstehen, den Bewohnern zu geben, was sie wollen, doch gleichzeitig den Reichtum für sich zu beanspruchen. Das ist anderen Kulten ein Dorn im Auge. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen. Wir haben hier mehrere Fraktionen, die auf hartem Kollisionskurs sind. Piraten; eine Arbeiterbewegung, die sich ausgebeutet fühlt; Revolutionäre; Fanatiker – alle Zutaten für einen zünftigen Bürgerkrieg sind vorhanden. Den wichtigsten NSCs der jeweiligen Fraktionen wird jeweils eine Seite gewidmet. In einem schlauen Format erfährt der Leser alles, was er wissen muss. Hier entfaltet sich das ganze Potenzial des Buches. Die NSCs sind hervorragend beschrieben. Sie bieten Konfliktpotenzial und Stimmung und Wiedererkennungswert – alles, was eine gute Figur ausmacht. Hat man die ca. 40 Seiten gelesen, schreibt sich jedes Abenteuer praktisch von allein.

Bei all der Mühe, die im Aussehen des Buches steckt, vermisse ich schmerzlich Übersichtsgrafiken. Die Wiederholung der Karten im Buch mit einem Overlay mit kleinen Kästen und ein oder zwei Stichworten würde so unendlich viel weiterhelfen. Ebenso wäre ein Übersichtsdiagramm mit den verschiedenen Verbindungen zwischen den Fraktionen und den NSCs extrem hilfreich.

Kapitel drei des Buchs beschreibt das Abenteuer „Operation Mirage“. Hier ist Schnelligkeit angesagt. 72 Stunden, ein Bürgerkrieg und die Spieler mittendrin. Ob der Spielleiter die SC zunächst in die Gegend einbinden will oder sie ohne Vorbereitung ins Chaos stürzt, bleibt ihm überlassen. Wenn wir ehrlich sind, braucht man für Spannung keinen „emotionalen Kontakt“ zur Umgebung mehr, wenn erst einmal Gebäude in die Luft fliegen und Geschosse den Himmel verdunkeln. Ein wenig Vorbereitung macht den Bürgerkrieg aber selbstverständlich eindrucksvoller.

Um dem Spielleiter das Improvisieren zu erleichtern, werden der eigentlichen Handlung Listen mit Konversationsfetzen und Begebenheiten beim Durchqueren der kriegserschütterten Stadt vorangestellt. Das Abenteuer selbst wird in einer Reihe von Szenen beschrieben. Unabhängig davon welcher Fraktion die SC zu Beginn angehören, findet sich bald der wahre Feind und die verschiedenen Handlungsstränge laufen zusammen. Die Szenen sind mit viel wörtlicher Rede und beschreibendem Text gefüllt, was sich in diesem Fall schön lesen lässt und die Stimmung fördert. Die Handlung ist zwangsläufig recht gradlinig. Hier ist ein erfahrener Spielleiter gefragt, der bei Bedarf vom vorgegebenen Handlungspfad abweichen und wieder zurückfinden kann. Da der Druck konstant aufrechterhalten wird, sollte das keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten.

Das Abenteuer ist nicht direkt abgeschlossen, aber am Ende doch rund. Am besten man vergleicht es mit einem Staffelfinale, das einen Zwischenpunkt bildet, aber genug für die nächste Staffel offen lässt. So wird es der Auftakt zu einer längeren Kampagne, die vom Spieleiter gestaltet werden kann. Im letzten Kapitel des Buchs werden offene Handlungsfäden aufgenommen und bis zu einem weiteren Punkt weitergesponnen, der die SC tief verstrickt in die Handlung zurücklässt. Der Spielleiter erhält abschließend eine lange Spiegelstrichliste mit inhaltlichen Punkten, die hervorragend dazu geeignet sind, die Handlung selbst weiterzuspinnen.

Ein paar kurze Anhänge mit Ausrüstung, Spielwerten, einer großartigen Zeitleiste und anderen Kleinigkeiten schließen das Buch ab.

Fazit: „The Killing Game“ ist ein Mittelding aus Quellenbuch, Abenteuer und Kampagne. Es liefert in gelungenem Layout, mit tollen Texten und wunderschönen Bildern den Hintergrund für viele Spielabende. Ein komplettes actiongeladenes Abenteuer bildet den Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Es ist ein unterhaltsames Buch, nicht einfach zu leiten, aber stimmungsvoll und hervorragend gemacht.

Degensis – The Killing Game
Quellenbuch/Abenteuer
Marko Djurdjevic, Alexander Malik
Sixmorevodka 2017
208 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,90 (PDF), EUR 39,00 (HC)

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir dafür ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

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