25.01.18

[Rezension] The Coldest City


Cross Cult beweist mal wieder ein gutes Händchen. Der sympathische Verlag veröffentlichte pünktlich zum Kinostart des Films „Atomic Blonde“ mit Charlize Theron die Comicvorlage „The Coldest City“ von Antony Johnston. Am Ende des Kalten Krieges wird in Berlin ein MI6-Agent ermordet. Die Agentin Lorraine Broughton gerät durch den Auftrag zu klären, was geschehen ist, in ein unübersichtliches Spiel aus Verrat und Eigennutz.

Die Geschichte ist eine klassische Noir-Agenten-Story mit allem, was man erwartet. Agentin Broughton ist nach ihrem Berlin-Einsatz wieder in England und berichtet, was bei ihrer Mission schiefgegangen ist. Sie ist im Zwang sich zu rechtfertigen, weil ein weiterer Agent seinen Tod fand. Die eigentliche Geschichte dreht sich um ihren Aufenthalt in Berlin und wird in Rückblicken erzählt.

Das Berlin kurz vor der Maueröffnung ist chaotisch und gefährlich - besonders natürlich für die Agenten verschiedener Nationen, die sich darin aufhalten und von den politischen Umwälzungen mindestens genauso betroffen sind wie die anderen Bewohner der Stadt. Der Tote hatte angeblich Zugang zu einer Liste mit den Namen aller in Berlin lebenden Agenten aller Nationen. Wie man sich denken kann ist so eine Liste der perfekte McGuffin für eine Geschichte. Da sich die Liste nicht bei der Leiche befand ist nun die gesamte Agenten-Szene Berlins hinter ihre her.

Der ortsansässige MI6-Agent ist erwartungsgemäß nicht begeistert, dass ihm ein Neuling in die Nachforschungen reinreden will. Für Broughton stellt sich zusätzlich die Frage, ob er ein eigenes Spiel spielt. Und was ist mit dem französischen Agenten, der sich ebenfalls einschaltet? Auf ihrer Suche nach der Liste verschlägt es Broughton auch nach Ost-Berlin - ein Aussflug, der ihr den Kopf kosten könnte.

Die vielen verschiedenen Ebenen aus Verrat und Lüge sind typisch für gute Agentenliteratur. Wenn sich im Laufe der Zeit eine Ebene nach der anderen auftut, ist das für den Leser zwar prinzipiell keine Überraschung, aber wegen solcher Wendungen liest er das Buch ja auch. Die Charakterisierungen der verschiedenen Figuren ist hervorragend gelungen. Und auch wenn man sich ziemlich konzentrieren muss, um bei all den Namen und Gesichtern nicht den Überblick zu verlieren, zieht es einen richtiggehend durch das Buch. Welches eigentliche Ziel verfolgt der alteingesessene MI6-Agent und was weiß der Franzose genau? Und was genau führte denn dazu, dass sich Broughton bei ihrer Rückkehr rechtfertigen muss? Und wer ist die geheimnisvolle Figur im Hintergrund, die viele Fäden in der Hand zu halten scheint (und die es in eines solchen Geschichte natürlich geben muss)?

Ich habe ein wenig gebraucht, um mich an die nüchternen Zeichnungen von Sam Hart zu gewöhnen, weiß sie schließlich aber um so mehr zu schätzen. Er taucht Berlin in harte Schatten. Mit wenigen dünnen Linien zeichnet er ein zerbrechliches Bild der Figuren und der Stadt, nur ab und zu unterbrochen von schwarzen Flächen - schwarze Schatten, in denen sich alles Mögliche verbergen könnte. Der Stil macht es nicht leicht die Figuren zu unterschieden. Für mich war das die eigentliche Hürde, die Zusammenhänge alle im Auge behalten zu können. Doch die Mühe lohnt sich. Der Stil unterstreicht das Noir-Feeling und trägt maßgeblich zum Gelingen der Geschichte bei. Er erzeugt eine besondere Stimmung, die zu der insgesamt recht ruhigen Handlung gut passt. Das den Figuren aufgrund des Stils zeichnerisch an Tiefe und Dreidimensionalität fehlt, wird durch die Geschichte wettgemacht, die die verschiedenen Charaktere hervorragend darstellt.

Den Film habe ich nicht gesehen, mir wurde aber berichtet, dass er nur wenig mit dem Comic zu tun hat. Das macht aber nichts. Der Comic funktioniert und so kann man vielleicht beides genießen, ohne alle Pointen bereits zu kennen.

Fazit: “The Coldest City” erzählt eine klassische Agentengeschichte, die alles hat, was man erwartet und dies hervorragend umsetzt. Die Zeichnungen sind schlicht und unterstützen den Noir-Stil. Die verschiedenen Ebenen unterschiedlicher Geheimnisse, die nach und nach aufgedeckt werden, machen die Geschichte interessant und die Charakterisierung der Figuren erweckt das Agentenleben im Berlin zum Ende des Kalten Krieges für den Leser zum Leben. Man sollte Agenten-Geschichten mögen, wenn man das aber tut, hat man viel Spaß mit dem wie immer gut produzierten Buch.

The Coldest City
Comic
Antony Johnston, Sam Hart
Cross Cult 2017
ISBN: 978-3-95981-433-1
192S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 25

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

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