Was wäre, wenn Steampunk-Technik und Aufklärung in die Zeit
der Völkerwanderung im westlichen Europa Einzug halten würden? Diese Frage
beantwortet das Quellenbuch „Barbaricum“ für „Fate Core.
Die Fate-Abenteuerwelten-Reihe bietet kurze
Weltbeschreibungen und Kampagnenbücher für „Fate Core“ und „Turbo-Fate“. Der
amerikanische Verlag Evil Hat finanziert die Reihe über Patreon. Das deutsche
Fate-Team hat nicht nur ein paar davon übersetzt, sondern auch drei deutschen
Autoren die Chance gegeben, ebenfalls so ein Quellenbuch zu schreiben.
„Barbaricum“ ist eines von diesen über Crowdfunding finanzierten Heften.
442 n. Chr. Die Hunnen dringen nach Ost-Europa ein und
treiben diverse germanische Stämme vor sich her. Das römische Reich ist gespalten
und steht vor seinem Untergang. Es ist der Übergang von der Spätantike ins
Frühmittelalter, eine Zeit großer Veränderungen und somit ein idealer
Schauplatz für Rollenspielabenteuer. Autor Leopold von Bonhorst hatte dazu eine
weitere gute Idee: Rein geschichtliches Spiel wirkt auf viele Gruppen
einschüchternd. Zu leicht ist es, dass historische Tatsachen dem freien Lauf
von Ideenreichtum entgegenstehen. Außerdem ist es für den modernen Spieler
nicht einfach, sich in die Gedankenwelt der Spätantike zu versetzen. Wie wäre
es also, wenn Aufklärung, Buchdruck, Feuerwaffen und Dampfmaschinen in diese
Zeit Einzug halten würden? Uns Spieler fällt es viel leichter, sich dort
hineinzudenken, außerdem würde das für weitere Konfliktherde sorgen und viele
neue Spielebenenn öffnen.
Das Heft beginnt mit einer kurzen Einführung (nach einer
Kurzgeschichte), die auf gerade mal acht Seiten einen Überblick über die
Situation liefert. Allein damit könnte man praktisch schon losspielen. Es folgt
das Kapitel mit den neuen Regeln, ohne das kein Fate-Buch auskommt. Wirklich
neu sind aber die wenigsten der hier beschriebenen Regeln. Ich persönlich
begrüße das. Ich habe mich immer gefragt, wo die Obsession von Fate - einem
System, das von sich behauptet extrem einfach und flexibel zu sein - herkommt,
ständig für jede Situation neue Regeln aufstellen zu müssen. In „Barbaricum“
wird eher Wert darauf gelegt zu zeigen, wie die bekannten Regeln in dieser Welt
angewendet werden.
Ein Charakter hat sechs statt den üblichen fünf Aspekten.
Das ist der Tatsache geschuldet, dass jeder Aspekt in eine Gruppierung gehört:
Herkunft, Erziehung, Berufung und Gemeinschaft gesellen sich zu dem üblichen
Konzept und dem Dilemma. Ein wichtiges Thema von „Barbaricum“ ist die
Zusammenarbeit auf Basis verschiedener Hintergründe. Die sechs
Aspekt-Kategorien sollten eine gute Grundlage dafür bieten. Ebenfalls neu ist
eine dritte Stress-Leiste: der soziale Stress. Zum Thema gehören auf jeden Fall
Diskussionen, in denen größere Gruppen von bestimmten Handlungsweisen oder
Philosophien überzeugt werden sollen. Zu diesem Zweck wird die dritte
Stress-Leiste eingeführt. Die Regeln für
soziale Konflikte unterscheiden sich im Endeffekt aber kaum von denen
anderer Konflikte. Jede Gruppe sollte schnell damit zurechtkommen.
Große Schlachten werden in „Barbaricum“ ebenfalls eine Rolle
spielen. Da die Fate-Regeln unverändert auf jeder Skala funktionieren, muss das
Kapitel „Große Schlachten“ auch hier nichts neu erfinden. Es beschreibt einfach
die Anwendung der üblichen Fate-Regeln auf Truppenbewegungen und Großkämpfe.
Genau so hätte ich es auch ohne Anleitung gemacht. Die Klarstellung im Heft
kann aber bestimmt den einen oder anderen Punkt verdeutlichen und ist auf
keinen Fall überflüssig. Ein kurzes Kapitel über Feuerwaffen dient
hauptsächlich der Beschreibung der Möglichkeiten.
Wirklich neu sind allerdings vier bisher unbekannte
Fertigkeiten: Alchemie, Mechanik, Status und Strategie. Sie werden ausführlich
mit bespielhaften Stunts und den vier Aktionen (Überwinden, Angreifen, …)
beschrieben.
Ungefähr zwei Drittel des Buches machen die Beschreibungen
der verschiedenen Stämme aus: die Römer, die Hunnen und verschiedene
germanische Stämme. Es wird jeweils eine kurze Übersicht geboten und einige
wichtige Bespielcharakter mit Werten gelistet. Außerdem gibt es einen kurzen
Abschnitt über das Militär und ein „Extra“ wie den hunnischen Dampfpanzer.
Mir gefällt „Barbaricum“ sehr gut. Die Welt ist etwas „normaler“
ist als beispielsweise „Märchenkrieger, LOS!“. Es werden weniger neue Regeln
benötigt. Die Abenteuerwelt bietet viele Konflikten und Konfliktebenen. Sie ist
nicht übermäßig „abgefahren“, sondern recht nah an der allseits beliebten
Fantasy. Trotzdem bietet sie mit neuer Technik und neuen Philosophien phantastische
Elemente, die verhindern, dass das Spiel zur reinen Geschichtsstunde verkommt.
Man kann an das Setting völlig „normal“ herangehen und Abenteuer, Konflikte und
Spionage ins Zentrum des Geschehens stellen. Man kann aber auch völlig neue
Ansätze verfolgen, wie die Diskussion verschiedener Philosophien oder auch ein
Lehrstück über die Zusammenarbeit sehr verschiedener Menschen. Der Leser
bekommt Abenteuerwelt und Gedankenexperiment ein einem.
Fazit: „Barbaricum“ bringt Aufklärung, Feuerwaffen und
Dampfmaschinen in die Zeit der Völkerwanderung. Das Buch liefert viele
Gedankeansätze, eine Interpretation der bekannten Regeln aus Sicht dieser
speziellen Abenteuerwelt und eine Umgebung voller Konflikte und Spannung. Das
alles ist wie immer kurz gehalten und eher dazu gedacht, der Gruppe die
Grundlagen für ihr eigenes Spiel zu liefern, als alles im Detail zu
beschreiben. Ein wirklich gelungenes Buch.
Barbaricum
Quellenbuch
Leopold von
Bonhorst
ISBN: 978-3-95867-156-0
100 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,95
[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]