Mit den
„Worlds of Adventure“ liefert der Verlag Evil Hat in regelmäßigen Abständen (über
Patreon finanzierte) Quellenbücher für „Fate“ in kleinem Format. Diese kleinen
Welten liefern jeweils eine eigene Rollenspielwelt, die ganz Fate-typisch mit
Regeln unterfüttert und genug Ideen und Hintergründen versehen wird, um recht
schnell loszuspielen. Das deutsche Fate-Team hat ein paar davon in der
„Fate-Abenteuerwelten-Reihe“ übersetzt. Zusätzlich finanzierte es mit einem
Crowdfunding drei Abenteuerwelten von deutschen Autoren. Anne Wiesner hat die vorliegende
kreative und schön spielbare Welt erschaffen und in dieses kleine 108 Seiten
lange Heft gegossen.
Ich muss
gestehen, die Ankündigung von einer Mischung aus Märchen und Anime hat mich zunächst
völlig kalt gelassen. Mit Anime habe ich recht wenig zu tun, auch wenn ich die
eine oder andere Serie geguckt habe. Als ich das Heft schließlich in der Hand
hielt, was ich überrascht, wie viel Spaß „Märchenkrieger, LOS!“ macht. Die
Mischung funktioniert gut. Im Jahr 1870 ist die Grenze zwischen Menschenwelt
und Märchenland brüchig geworden. Die Spieler verkörpern Menschen, die mit der
Anime-Version einer Märchenfigur verbunden ist. Beide Seiten sind vollwertige
auf irgendeine Weise verbundene Wesen.
Die
Spieler übernehmen beide Figuren. Sie arbeiten im Auftrag von König Ludwig II.
von Bayern und wohnen unter dem Schloss Neuschwanstein. Das verdeutlicht auch
gleich, wie genau man es im Spiel mit historischer Genauigkeit halten soll. Man
darf sie ignorieren, Hauptsache ist, es macht Spaß, denn 1870 ist
Neuschwanstein eigentlich noch im Bau. Der König hat Visionen und vergibt Aufträge
an die Charaktere, in denen sie gegen böse Märchenfiguren kämpfen oder andere
für die Sicherheit der Bevölkerung wichtige Aufträge übernehmen, die im
Zusammenhang mit der Märchenwelt stehen.
Die
Märchenwelt wird durch die Anime-Linse betrachtet. Die Verwandlung von Mensch
in Märchenfigur und umgekehrt erfolgt ganz Anime-typisch mit viel Farben und
Geräuschen. Die Märchenfiguren können fliegen oder Flammen werfen. Vielleicht
haben sie riesige Waffen oder sind stark wie Ochsen. Es sind Anime-Märchen-Figuren
mit Superkräften.
Regeltechnisch
wird Fate Core mit Turbo-Fate vermischt. Die Menschen haben Fertigkeiten wie in
Fate Core. Die Märchenfiguren haben Methoden wie in Turbo-Fate, sie beschreiben
also „wie“ sie etwas machen und nicht genau, was sie können. Zu den emotionalen
Märchenfiguren passt das ziemlich gut. Da beide Regelwerke kostenlos als PDF
zur Verfügung stehen, ist auch niemand gezwungen zwei Regelbücher zu kaufen, um
„Märchenkrieger, LOS!“ spielen zu können. Die Charaktererschaffung funktioniert
ansonsten recht normal. Einige Aspekte können entweder für die Figur oder die
Menschen gewählt werden. Durch die Charakterentwicklung kann das auch wechseln,
was den Spielern die Möglichkeit gibt, sich in unterschiedlichen Phasen der
Kampagne mehr auf die eine oder die andere Seite zu konzentrieren. Stress und
Konsequenzen gelten für beide.
Das Heft
beschreibt alle Bereiche des Spiels: Charaktererschaffung, Gegner und Figuren,
ein kurzer Blick auf Anime und natürlich die Geschichte der Menschenwelt.
Details gibt es entsprechend der Fate-Philosophie nur wenige. Der König und seine
Gegnerin, die böse Königin, werden beschrieben, es gibt Beispielgegner und zwei
oder drei Absätze zur geschichtlichen Entwicklung. Der Hinweis „Macht, was ihr
wollt!“ ist aber wesentlich wichtiger als irgendwelche Daten oder
Beschreibungen. Alles sind nur Bespiele.
Der
Leser wird von Appolonia und ihrem Märchengegenstück, dem Marienkind, durch die
Regeln geführt. Fast der gesamte Text ist ein Dialog zwischen den beiden unterschiedlichen
Figuren. Die beiden erklären dem Leser, worum es geht und was es zu beachten gilt.
Der Dialog (und die kleinen Streitereien zwischen den beiden) hilft bei der
Vorstellung, wie das Spiel ablaufen kann. Zwar macht er die Lektüre interessant
und witzig, hilft aber nicht unbedingt, wenn man schnell etwas nachschlagen
will. Ich persönlich mag „In-Voice“ eigentlich gar nicht, weil es den Text
zumeist aufbläht, ohne ihm etwas hinzuzufügen. Wegen der Kürze des Buchs und
der gelungenen Untermauerung des Spielkonzepts kann ich hier aber gut damit
leben. Der Stil ist vielleicht etwas „überdesignt“. Beim Charakterbogen ist es
ähnlich. Er besteht aus zwei Hälften, die jeweils in eine andere Richtung
zeigen. Der Spieler muss den Charakterbogen also umdrehen, wenn er die Figur
wechselt. Die Idee mag ganz witzig sein, ich halte die Dreherei am Spieltisch
aber doch für etwas unpraktisch.
Das sind
aber nur kleine Kritikpunkte in einem ansonsten sehr gelungenen Buch. Das
Konzept funktioniert hervorragend, liefert Stimmung, Spannung und ein Ziel für
die Charaktere. Es wird durch die Regeln unterstützt und hervorragend
umgesetzt. Lasst euch nicht vom Thema abschrecken. „Märchenkrieger, LOS!“ ist
ziemlich cool.
Fazit:
Ein fiktives Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in das eine
Märchenwelt eindringt, die eher an typische Animes gemahnt als an die Brüder
Grimm. Auch Gruppen, die Anime nicht so sehr mögen, würde ich empfehlen, einen
Blick auf das gelungene Heft zu werfen. Abenteuer, Action, Humor und Spannung
fügen sich ein gut designtes Rollenspielkonzept.
Märchenkrieger,
LOS!
Quellenbuch
Anne Wiesner
UhrwerkVerlag 2018
ISBN: 978-3-95867-155-3
108 S., Softcover,
deutsch
Preis: EUR 14,95 [Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]
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