Leider hört der hohe Grad an Übersichtlichkeit beim Layout auf - zumindest für mich als jemand, der die Spiele nicht kennt. Eigentlich steht alles da oder wird zumindest so angedeutet, dass man sich denken kann, was gemeint ist, während ich das Buch las, hatte ich aber häufig das Gefühl, dass irgendetwas vorausgesetzt wird, das ich nicht weiß. Da sich das Buch hauptsächlich an Leute richten dürfte, die Fans der Computerspiele sind, kann ich mir das bei der Weltbeschreibung leicht erklären. Bei den Regelerläuterungen ging es mir aber genauso.
Die Einleitung finden wir nach einem kleinen Comic mit einer Actionszene. Sie trägt den Titel „Into the Isles“ - ein durchaus passender Name für die Einleitung von „Dishonored“, aber ganz einfach „Introduction“ würde mir im Inhaltsverzeichnis mehr weiterhelfen. Sie erklärt, was ein Rollenspiel ist, nennt die vier Inseln des „Empire of the Isles“ und gibt jeweils fünf oder sechs Zeilen Beschreibung. Außerdem greift sie die Themen des Spiels auf: Ordnung und Chaos, Klassenkampf u. a. So etwas wie: „Viktorianische Welt, aber mit Steampunkelementen, einer Art von Magie und einer großen Bedeutung von Walen, aus denen sowohl weltliche als auch mystische Energie gezogen wird“, sucht man vergebens.
Dann geht es an die Regeln. Hier gibt es eine halbseitige Übersicht, aus was für Werten die Charaktere bestehen. Es gibt „Skills“ und „Styles“. Ersteres sind sechs Fertigkeiten wie „Fight“, „Move“ oder „Study“, letzteres die Art, wie Dinge ausgeführt werden können, ebenfalls sechs an der Zahl. Sie sind wie die „Methoden“ von Turbo-Fate, Dinge wie „Boldly“, „Cleverly“ und „Carefully“. Wie man sieht, sind sie bereits wie Adverbien formuliert und ergeben zusammen mit den Fertigkeiten den Wert, auf den man würfelt. Will ein Charakter jemandem eine runterhauen, würfelt er vielleicht auf „Fight Boldly“. Man zählt die beiden Zahlen zusammen (jeweils zwischen 4 und 8) und würfelt mit ein paar W20 (meist 2, woher das System seinen Namen hat). Jeder Würfel, der die Zahl oder oder weniger anzeigt, ist ein Erfolg. Für schwierige Handlungen braucht man mehr als einen Erfolg. Würfelt man mehr Erfolge als man benötigt, erhält man „Momentum“, Punkte, die man für vorteilhafte Dinge wie zusätzliche Würfel o. ä. ausgeben kann.
Hier kommen wir das erste Mal zu Regeln, die das Spiel erzählerisch machen. Momentum kann u. a. ausgegeben werden, um „Truths“ festzulegen. „Truths“ sind gut vergleichbar mit den Aspekten von „Fate“, nur dass sie keine festgelegten Auswirkungen auf die Regeln haben, sondern einfach nur ein Begriff dafür sind, dass etwas „ist“. Eine Truth wäre z. B. eine lockere Bodendiele, die im Kampf eingesetzt werden kann oder eine ähnliche Kleinigkeit, die ein Spieler in die Welt hineinerfindet - immer vorausgesetzt, der Spielleiter legt kein Veto ein. Das Festlegen und Verändern von Truths gehört in das normale Repertoire der Spielerhandlungen. Böse Zungen könnten jetzt einwerfen, dass hier ein Begriff für etwas eingeführt wird, das eigentlich Rollenspielstandard ist. Ist eine Truth „Es brennt“ und der Spieler ändert sie in „Gelöscht“, in dem er es, nun ja, löscht, sollte dafür kein Regelbegriff notwendig sein. Es tut dem Spiel bestimmt gut, sich die Normalität dieser Handlungen klarzumachen. Aber es ist trotzdem von Vorteil, einen Regelbegriff zu haben - spätestens, wenn ein Spieler mit Momentum einen Gegenstand in eine Actionszene erfindet, der vorher nicht da war.
Ein weiterer Punktepool, der von den Spielern benutzt werden kann, ist „Void“, die Kraft aus der der übernatürliche Einfluss auf die Welt kommt. Der Spielleiter hat einen weiteren Pool, nämlich das Chaos, das erhöht wird, wenn die Charaktere die Ordnung untergraben oder z. B. jemanden töten. Die Chaos-Punkte werden eingesetzt, um den Charakteren Steine in den Weg zu legen.
All diese Punktepools werden separat geführt und auf unterschiedliche Weise gefüllt und geleert. Alle erfüllen einen Zweck und bereichern das Spiel auf andere Weise. Trotzdem stelle ich mir die Frage, ob es nicht mit etwas weniger auch gegangen wäre, denn jeder Pool bedeutet Buchhaltung und bringt Komplexität ins Spiel.
Im nächsten Kapitel kommen wir zu „Action and Intrigue“. Kampf ist nicht die einzige Action, die in „Dishonored“ vorkommen kann. Über so genannte „Tracks“ wird der Fortschritt in verschiedenen Bereichen dargestellt: der „Stealth Track“ bei Einbrüchen, der „Intrigue Track“ bei Intrigen oder der „Stress Track“ bei Verwundungen. Es gibt noch einige mehr. Das gefällt mir gut, denn die verschiedenen Tracks eröffnen die Möglichkeit, das Vorankommen in verschiedenen Bereichen des Spiels auf einfache Weise darzustellen. Daran anschließend folgt ein Kapitel für den Spielleiter, das Grundlagen und Tipps erklärt.
Die Regeln sind rund und gut auf das Spiel zugeschnitten. Wer die erzählerischen Komponenten mag und ein klein wenig Komplexität nicht scheut, sollte alles finden, was er braucht. Wer es einfacher wünscht, sollte wenig Probleme haben, Regelbereiche zu streichen.
Bei der Charaktererschaffung, die im nächsten Kapitel erklärt wird, kommen zu den beschriebenen Zahlen noch ein paar weitere Elemente dazu. Grundlage des Charakters bildet ein Archetyp. Außerdem legt der Spieler Foci fest (das sind etwas spezialisiertere Fertigkeiten, die zu den sechs grundlegenden hinzukommen), Talente (besondere Fähigkeiten), „Personal Truths“, Ausrüstung und Kontakte. Über die Archetypen und eine jeweils überschaubare Anzahl an Talenten und Foci läuft die Charaktererschaffung recht schnell, liefert aber trotzdem eine detaillierte Figur. Das Ausrüstungskapitel ist auch gut gelungen. Die Auswahl an Dingen ist mit Flair angereichert und Regeln für „Upgrades“ erlauben Personalisierung.
Ein eigenes Kapitel erklärt den „Void“ und die übernatürlichen Fähigkeiten, die Charaktere haben können. Man muss ein bestimmtes Talent gewählt haben, um Void-Kräfte anwenden zu können. Da nicht alle Charaktere darauf zugreifen können, besteht die Gefahr, dass die übernatürlich Begabten etwas zu viel Aufmerksamkeit erhalten. Wie groß die Gefahr am Ende allerdings ist, kann ich ohne ein Testspiel nicht einschätzen. Die Regeln sind jedenfalls gut und nicht zu kompliziert und die Auswahl an Kräften gefällt mir auch gut. Die magischen Gegenstände von „Dishonored“ werden hier ebenfalls beschrieben: „Bonecharms“ sind verbreitet genug, dass sie in Abenteuern immer wieder gefunden und vom Spielleiter als Belohnung verteilt werden können. Artefakte sind variabler und können z. B. magische Waffen sein oder besondere Fähigkeiten verleihen, solange man sie bei sich trägt.
Die nächste drei Kapitel beschreiben verschiedene Bereiche der Welt. Die Beschreibungen bieten Details, ohne zu überfordern. Die Kapitel bieten einen tollen Überblick über die Geschichte, Orte, Fraktionen - jeweils mit Abenteueraufhängern und einer Menge Stimmung. Man weiß gleich, was man dort spielen kann. Die geschichtliche Einordnung legt jeweils nahe, welche Art Abenteuer man vermutlich am häufigsten dort erleben wird. Darauf folgt ein langes Kapitel, das allgemeine und wichtige Figuren und Monster vorstellt. Die Beschreibungen sind gut und auf Benutzung durch den Spielleiter ausgelegt.
Den Abschluss bildet ein langes Abenteuer (oder kurze Kampagne). Es gibt sich große Mühe, eine besondere Stimmung einzufangen. Die Charaktere beginnen als Kriegsgefangene, die in ein Gefängnis gebracht werden, das eigentlich eine Walöl-Fabrik ist. Dort werden sie von etwas Übernatürlichem kontaktiert und können fliehen. Das Abenteuer deckt eine relativ lange Zeit ab. Einzelne Szenen werden gespielt und die Zeit dazwischen wird geschnitten. Gerade am Anfang ist es zwar recht stimmungsvoll, wie die SC nach dem langen Gefangenentransport in die Fabrik eingeführt werden, aber in mehreren Szenen können sie eigentlich nichts tun, als sich ein wenig zu unterhalten. Eine Gruppe, die gern beobachtet, wie sich ein Setting vor ihnen entfaltet mit einem Spielleiter, der gut und knapp beschreibt, hat bestimmt viel Spaß damit. Aber auch wenn sich die Situation verbessert und die Charaktere aktiv handeln können, bleibt die Story recht gradlinig. Man sollte eine Gruppe haben, die diese Art Achterbahnfahrt mag. Es soll aber nicht verschwiegen werden, das insgesamt eine Menge zu planen und erleben da ist. Die Szenen sind gut strukturiert und bieten meistens mehr als „Peepshow“. Selbst wenn das Abenteuer stilistisch nicht für jeden geeignet ist (und welches Abenteuer ist das schon), ist es zumindest ein tolles Beispiel, was man alles in „Dishonored“ erleben kann.
Fazit:
„Dishonored“ ist ein tolles Spiel mit vielen Möglichkeiten geworden. Die Regeln
sind schnell greif- und begreifbar und bieten einfache Herangehensweisen an
verschiedene Spielsituationen. Einzig dass insgesamt drei verschiedene Pools an
Punkten gefüllt und geleert werden müssen, finde ich etwas viel. Aber sie
passen zweifellos ins Spiels. Die Welt bietet viele Möglichkeiten und Stimmung.
Der Einstieg fiel mir ungewöhnlich schwer, vermutlich weil sich das Spiel an
Fans des Computerspiels richtet, das ich nicht kenne. Ein klein wenig Arbeit muss
man aber in jedes neue Rollenspiel stecken, insofern kann das verziehen werden.
Dishonored
Grundregelwerk
Mari
Tokuda, Anne Toole, Jason Brick, Danielle DeLisle, Nathan Dowdell, Federico
Sohns
Modiphius2020
308 S.,
PDF, englisch (HC zz. nur als Vorbestellung)
Preis: $
oder EUR 19,99
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