01.10.17

Die zwei Ebenen des Rollenspiels

Im Rollenspiel gibt es zwei Ebenen: Die Fiktionsebene und Spielerebene.

Die Fiktionsebene ist das, was den Spielerfiguren und um sie herum geschieht. Es ist der Kampf mit dem bösen Erzmagier. Oder es ist die Prinzessin, die den edlen Recken anschmachtet, der ihren Vater um eine Belohnung für die Rettung des Dorfes Anglerheim bittet. Die Regeln gehören auch in diese Ebene, denn sie bestimmen, was den Figuren geschieht und beeinflussen direkt die Welt und das Schicksal.

Die Spieler am Tisch bilden die Spielerebene. Der eine flucht über sein Würfelpech, der andere bittet um die Cola. Die Spieler besprechen gemeinsam, was sie von der Fiktionsebene erwarten, wenn sie die nächste Kampagne besprechen oder überlegen, ob mehr oder weniger Kämpfe ein anzustrebendes Ziel sind.

Prinzipiell ist das ja nichts Neues. Mir wurde die Wichtigkeit der Unterscheidung bewusst, als ich über Railroading nachdachte. Meine Definition für Railroading habe ich aus dem RPG-Forum The Forge: Railroading ist es dann, wenn der Spielleiter die Spieler in eine Richtung drängt, in die diese nicht gehen wollen. Sie ist die einzig sinnvolle Definition, die ich je gesehen habe, und bezieht sich komplett auf die Spielerebene. Noch nie hat man Spieler sagen hören: "Der Dungeon war voll das Railroading. Ich wollte nach rechts, aber da war einfach keine Tür." Häufig hört man aber: "Der Spielleiter wollte einfach nicht, dass wir [dasunddas] taten. Er hat es verhindert, egal, was wir uns ausgedacht haben. Was für ein Railroading ..."

Es geschieht allerdings immer wieder, dass Abenteuertexten nachgesagt wird, sie wären Railroading. Abenteuertexte sind aber komplett auf der Fiktionsebene. Sie verlassen sie nur, wenn sie dem Spielleiter sagen, wie er bestimmte Szenen handhaben soll. Das sind quasi "Spielerebenentipps". Da in keinem Abenteuer der Welt der Tipp steht, dass ein Spielleiter Railroading anwenden soll, wie kann es dann im Abenteuer überhaupt vorkommen? Ob etwas zu Railroading wird, entscheidet sich erst am Spieltisch auf Spielerebene. Natürlich gibt es Situationen, die eher dazu einladen als andere, aber selbst wenn der Abenteuertext minutiös alles vorschreibt, was die Spieler sagen oder denken sollen, kann eine gute Chemie zwischen und Spieler und Spielleiter dafür sorgen, dass alle am Tisch zufrieden sind.

Da ich ja gerade über Abenteuergestaltung im Allgemeinen nachdenke, erschien mir diese Unterscheidung wichtig. Abenteuertexte beschreiben immer nur die Fiktionsebene. Was anschließend am Tisch geschieht, hängt aber von den Spielern und dem Spielleiter ab. Ob ein Abenteuer Spaß macht, steht und fällt beispielsweise damit, ob sich alle vertragen und niemand einen schlechten Tag hat und alle anmuffelt. Alte Abenteuer wie die Festung im Grenzland versuchen kaum diese Ebene zu verlassen. Sie überlassen die Fiktion der Gruppe. Ein paar Tipps und Tricks sollen dem Spielleiter helfen, die Spielerebene genauso zu meistern wie die Fiktionsebene, aber im Großen und Ganzen bleibt es bei der Beschreibung der Welt. Was die Gruppe daraus macht, ist ihre Sache. Neuere Abenteuer verwenden eine Menge Platz darauf, dem Spielleiter beide Ebenen näher zu bringen. Die Fiktion wird von vielen Hinweisen begleitet, die dem Spielleiter erklären, wie es sie am besten auf Spielerebene rüberbringt.

Habe ich ein Fazit oder eine sich daraus ableitende Anleitung für das Abenteuerschreiben? Nur, dass jedem Abenteuermacher angeraten ist, die Unterscheidung im Auge zu behalten. Wie viel Raum will man dem Spielleiter geben, um das Abenteuer selbst zu seinen Spielern zu bringen? Wie viel traue ich als Autor ihm zu? Wo denke ich, sind Hinweise unerlässlich? Diese Entscheidungen sollte ich bewusst treffen, denn sie beeinflussen, was für ein Abenteuer ich schreibe.

[Abgelegt unter dem Label Abenteuer gestalten.]

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