26.11.23

[Rezi] Forbidden Lands - Bloodmarch

„Bloodmarch“ ist die dritte Kampagne bzw. das dritte Setting für „Forbidden Lands“. Ein wichtiger Pass im Westen von Ravenland ist seit langer Zeit wieder passierbar. Was mag die Gruppe dahinter erwarten?

Im Westen von Ravenland liegt Aslene, ein einst fruchtbares Land mit vielen Vulkanen, dass vom Dämonenkrieg verwüstet und schließlich abgeschnitten wurde. Der Pass, der einst hineinführte, war magisch verschlossen. Jetzt ist er wieder offen. Mitglieder der Reiterclans, die einst nach Ravenland geflohen waren, kehren wieder zurück. Auch andere sehen dort eine Chance und reisen in das neu eröffnete Land – so auch die Spielgruppe. 

Die Kampagne ist wie üblich ein Hexcrawl – dafür wurde „Forbidden Lands“ schließlich konzipiert. Was ich an allen Spielen von Free League sehr mag, ist ihr klarer Fokus. Es wird immer eine bestimmte Art Geschichten erzählt und diese Art wird gezielt und kompetent umgesetzt. Bei „Forbidden Lands“ geht es um oldschoolige Fantasy, in der eine Gruppe Abenteurerinnen und Abenteurer durch unbekannte gefährliche Länder zieht und sich diesen Gefahren stellt. 

Es ist die klassische Herangehensweise der ersten Abenteuer, die damals den Dungeon verließen. Die Landschaft ist in Hexfelder unterteilt. Die Spielgruppe reist durch diese wilde und gefährliche Landschaft voller Monster und der ständigen Gefahr von Hunger oder sich zu verlaufen. Die Abenteuer ergeben sich aus dem, was die Gruppe vorfindet und wie sie damit interagiert. Die Zivilisation ist nicht vollkommen abwesend, beschränkt sich aber auf wenige, häufig weit auseinanderliegende Orte. Wohin die Gruppe sich wendet, ist nicht nur vom Zufall abhängig, sondern auch maßgeblich von Gerüchten und Legenden und von dem, was sie erleben – manchmal auch einfach von dem, was sie am Horizont sehen. 

Wer sich jetzt fragt, wo da die Story bleibt, bekommt in „Bloodmarch“ eine Antwort. Wie jedes Land hat auch Aslene eine lange Geschichte. Die Reitervölker, die dort wohnen, waren nicht die ersten. Der Dämonenkrieg hat viel kaputtgemacht. Die meisten Vulkane sind schon lange erkaltet und nur einer ist noch aktiv. Dieser Vulkan wird als zentraler Gott verehrt. Und dann gibt es da nicht nur Menschen, Elfen und Zwerge, sondern auch andere, fremdartigere Wesen mit ihren ganz eigenen Zielen. 

Aus diesen Hintergründen ergibt sich eine dichte Geschichte der Welt. Die Story, die die Gruppe erlebt, wenn sie Aslene bereist, ergibt sich daraus, wie sich das Land und die Völker, die darin wohnen, verändert. Und natürlich haben sie Einfluss auf diese Veränderung, denn eine große Gefahr dräut am Horizont. Eine Anzahl von legendären Gegenständen sind über das Land verteilt und verschiedene Gruppe haben ein Interesse daran, diese in ihre Finger zu bekommen. Große Macht wohnt ihnen inne und werden sie vereint, ist die Veränderung praktisch nicht mehr aufzuhalten – die Frage ist nur, ob es für die Mehrzahl der Bewohner Aslenes eine positive oder eine negative Veränderung sein wird.

Es ist recht schwer, das Buch nach seinen Einzelteilen zu beurteilen, denn viel davon greift ineinander und erzeugt eine erzählerische Dynamik, die ohne einen ausführlichen (und viele Spielabende dauernden) Spieltest kaum abzuschätzen ist.

Fangen wir mit der Optik an. Das Buch ist ein kleinformatiges Hardcover (vermutlich DIN B5, ich habe es nicht nachgemessen). Das Cover ist nicht schlecht. Für meinen Geschmack ist es etwas zu dunkel, aber es erzeugt auf den ersten Blick eine bestimmte Stimmung, die vom ersten Augenblick an mein Bild von Aslene beeinflusst hat. Der vordere Vorsatz zeigt eine Schwarzweißversion der Landkarte von Aslene. Der Stil ist toll, sehr hübsch und doch übersichtlich genug. Die Hexfelder sind deutlich, ohne dass sie alle einzeln eingezeichnet wurden. Im gleichen Stil zeigt der hintere Vorsatz eine Übersichtskarte über einen größeren Ausschnitt der Weltkarte, um zu zeigen, wo sich Aslene im Verhältnis zu Ravenland und das Bitter Reach befindet. Die Innenillustrationen sind detaillierte Schwarzweißzeichnungen in großartigem Stil. Das Layout ist hübsch und übersichtlich. 

Den Anfang bildet eine kurze Einstiegsgeschichte (gut geschrieben und unterhaltsam – das sieht man eher selten bei solchen Einstiegsvignetten). Ein Überblick über das Land und seine Geschichte, passende neue Magiesorten und eine Beschreibung der neuen Terraintypen, die man hier bereisen kann, incl. Begegnungstabellen schließen sich an. Das alles nimmt nur knapp 50 Seiten ein und vermittelt nicht nur, warum es gehen wird, sondern zeichnet generell ein starkes Bild der Länder und der Kampagne selbst. 

Die eigentliche Kampagne beginnt auf S. 52. Zunächst erhält die Spielleitung einen Überblick über die sieben Phasen der Kampagne. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten, aber sehr wohl zu beeinflussen, was die SC im Laufe der Kampagne erleben werden. Die zentralen NSC mit ihren Fraktionen – potenzielle Gegenspieler oder Verbündete –, die Artefakte, neue Monster und Zufallsbegegnungen nehmen den nächsten großen Teil des Buchs ein. Bei den Monstern sind ein paar sehr spannende und abgefahrene Viecher dabei. Die Zufallsbegegnungen sind ebenfalls viel mehr als man es von weniger kreativen Produkten gewohnt ist. Viele davon vermitteln Informationen über den Hintergrund der Welt oder die Entwicklung der Kampagne. 

Den Abschluss bilden acht Adventure Sites. In diesem Fall sind das acht Siedlungen, die die Gruppe besuchen kann. Dort finden sie vielleicht die Artefakte, geraten in Streitigkeiten, lernen Details über das Land oder stellen sich der großen Bedrohung. Hier ist einer der wenigen Kritikpunkte, die ich an dem Buch habe. Die Karten sind über die Buchmitte gedruckt und Teile davon sind im Falz nur schlecht zu erkennen. Die Karten gibt es auch als Handouts zum Download auf der Webseite von Free League, insofern stellt das kein unüberwindliches Problem dar, aber eine verbesserte Lesbarkeit wäre natürlich wünschenswert gewesen. Die Orte sind nicht lang, aber wie alles in dem Buch in ihrer Kürze trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) gut zu benutzen.

Abgesehen von den sieben Phasen der Kampagne, die eine Entwicklung der Veränderung aus der Vogelperspektive beschreiben, wird nirgendwo in dem Buch eine Handlung vorgegeben. Diese ergibt sich aus den Handlungen der Gruppe. Und auch wenn beim Lesen schwer einzuschätzen ist, wie sich ein Spiel am Tisch anfühlt, kann es erahnen. Alles greift ineinander. Die Informationen ergänzen sich. Wenn die sich entspinnende Handlung nur halb so stimmungsvoll und spannend ist, wie die Texte im Buch, wird das eine gelungene, unterhaltsame Kampagne. 

Es gibt ein kleines, getrennt zu erwerbendes Zusatzpaket mit einer Farbkarte, Aufklebern und ein paar Spielkarten, das für den Spieltisch gedacht ist. Es ist nicht ganz billig, aber die Hexkarte dürfte das Spielerlebnis bereichern.

Im Oktober 2023 hat der Uhrwerk-Verlag eine Crowdfunding-Kampagne für eine deutsche Übersetzung des Buchs unter dem Titel „Blutmark“ erfolgreich abgeschlossen. Man darf also erwarten, dass das Buch irgendwann in 2024 auch auf deutsch zur Verfügung stehen wird.

Fazit: „Bloodmarch“ liefert eine hervorragende, stimmungsvolle Hexcrawl-Kampagne mit vielen Ideen. Das Buch ist gut zu lesen und mit tollen Zeichnungen versehen. Wer Nachschub für seine „Forbidden Lands“-Kampagne sucht, darf getrost zuschlagen.

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

Forbidden Lands - Bloodmarch
Abenteuer
Erik Granström, Per Holmström
Free League 2023
ISBN: 978-9-18914-366-1
256 S., Hardcover, englisch
Preis: EUR ca. 35

17.11.23

[Rezi] New Hong Kong Story – Das Bündnis

„Das Bündnis“ ist ein kurzes Abenteuer für das Wuxia-Action-Rollenspiel „New Hong Kong Story“. Es erschien zuerst als Posterabenteuer zum Gratisrollenspieltag 2019 und liegt nun als „Director’s Cut“ mit zusätzlichen Szenen und dem reichhaltigen Karten- und Bildermaterial vor, das für „New Hong Kong Story“ typisch ist. Die Charaktere sollen im China der Tang-Dynastie eine Prinzessin auf einer Reise begleiten und beschützen.

In „New Hong Kong Story“ spielt die Gruppe nicht nur Figuren in einem Abenteuer. Sie sind Schauspieler, die in einem Film mitspielen, in dem ein Abenteuer geschieht. Es handelt sich immer um Actionfilme. Coole Stunts, Martial Arts und langgezogene Actionszenen mit vielen Beteiligten, zerstörter Umgebung, dem Springen auf Dächer und viel Bewegung gehören immer dazu. Die Rollen mit ihren Fähigkeiten sind für den jeweiligen „Film“ (das Abenteuer) vorgegeben. Die Schauspieltruppe mit ihrem jeweiligen Können ist immer gleich und wird am Anfang gemeinsam erschaffen.

Inzwischen gibt es eine ganze Reihe an veröffentlichten Abenteuern für das Spiel. Alle zeichnen sich durch großartige Materialien aus, die neben dem reinen Abenteuertext geliefert werden. „Das Bündnis“ macht hier keine Ausnahme. Die Materialien machen die Abenteuer aus. Selbst wenn eine Story mal nicht so toll ist, kann man immer noch die günstigen und gut gestalteten Pläne, Karten, Fotos und Spielmarken verwenden. So auch in diesem Fall.

Zum Abenteuer gehört eine ganze kleine Tüte voll Zettelchen und Karten: 5 A3-Spielpläne für die Actionszenen, eine Übersichtskarte der Region, ein Filmplakat, Tokens für die Figuren und einige für Dinge an den Sets, gezeichnete Polaroidfotos von Nicht-Schauspieler-Charakteren, Charakterbögen für die Filmrollen und sogar ein kleines Tütchen für die ausgeschnittenen Tokens. Besonders die Spielpläne sind ein Highlight. Sie sind schön gezeichnet und stimmungsvoll und in anderen Abenteuern wiederverwendbar. Die Polaroidfotos sind auch immer toll. Es ist immer gut, wenn die Gruppe „sieht“, mit wem sie es zu tun hat. Eine Handvoll Spielkarten ist ebenfalls beigelegt. Vier davon beschreiben die Regeln von speziellen Martial-Arts-Moves, die im Spiel vorkommen. Spannender noch sind sechs Karten, die Motivationen für die Rollen liefern. Die Spielleitung verteilt sie an die Spielerinnen und Spieler, was diesen sagt, ob sie aus z. B. „Kaisertreue“, „Mitgefühl“ oder „Freundschaft“ heraus handeln. 

Der Abenteuertext wird als 30-seitiges Heft mit Klammerheftung in Größe eine VHS-Kassette geliefert. Es wird als Kurzfilm angekündigt und ist auch wirklich nicht lang. Die Tochter eines reichen Mannes soll mit dem Sohn des Kaisers verheiratet werden und ein Konkurrent hat etwas dagegen. Nach einem Mordanschlag auf die Tochter sollen die Charaktere sie in den Palast begleiten. 

Die Reise bildet die Handlung des Abenteuers. Die Szenen selbst – ein Überfall, eine eigenartige Straßensperre, ein Mordanschlag, … – sind kurz beschrieben und mit erzählerischen Details gefüllt. Man sollte das Genre kennen und mögen (oder zumindest sollte die Spielleitung gut darin sein, die Abschnitte entsprechend in Szene zu setzen). Hier geht es nicht immer um Action, sondern auch um Charakterdarstellung und das Ausgestalten von Szenen. Was langweilig sein könnte, wird aber immer wieder aufgebrochen. Zum einen befindet sich bei jeder Szene eine kleine Spiegelstrichliste mit kurzen Ereignissen, die in die Szenen eingestreut werden können. Die Motivationskarten sind ein weiterer Punkt, denn die Motivationen sind teilweise gegensätzlich und bieten Konfliktpotenzial innerhalb der Gruppe. 

Allzu tiefgründig wird es nicht, wir benötigen ja auch noch genug Raum für ein paar ordentliche Actionszenen. Hat die Gruppe aber Spaß daran, einen solchen Film nicht nur mit Würfelwürfen, sondern auch mit ein wenig Charakterdarstellung zu erleben, ist alles vorhanden, was man braucht. Die Spielleitung sollte allerdings flexibel sein. Ein reines „Abarbeiten“ der gelieferten Szenen könnte schnell langweilig werden. Ein gutes Gespür für die Stimmung am Tisch ist Voraussetzung für ein Gelingen des Abenteuers.

Fazit: „Das Bündnis“ ist ein kurzes, gradliniges Abenteuer, in dem sich Charakterdarstellung, Action und die eine oder andere geheimnisvolle Szene abwechseln. Das mitgelieferte Material ist wieder einmal hervorragend. 

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

New Hong Kong Story – Das Bündnis
Abenteuer
Christian Blaßmann, Hartmut Schoormann
Black Mask 2023
ISBN: keine
30 S., Klammerheftung, deutsch

18.10.23

[Rezi] Spherechild, 3. Edition


Sphärenkinder: Wesen in einer Welt, die Kontakt zu Gleichgesinnten in einer anderen Welt haben – und gemeinsam kämpfen sie gegen Gefahren, die alle Welten bedrohen. „Spherechild“ ist ein weltenübergreifendes Rollenspiel, in dem Fantasykriegerinnen mit Straßensamurai und Raumpiloten zusammenarbeiten – alle auf ihrer Welt.

Alexander Hartungs „Spherechild“ existiert schon lange. Es befindet sich inzwischen in der dritten Edition, farbig und überarbeitet. Das mir vorliegende Buch ist die Taschenbuchausgabe, die mir Alexander netterweise auf einer Con für eine Rezi in die Hand gedrückt hat. Sie wurde hergestellt, um einen günstigen und trotzdem gedruckten Einstieg in das Spiel zu ermöglichen. Um den günstigen Preis von 10 € zu ermöglichen wurde das DIN-A4-Buch auf A5 verkleinert und als Taschenbuch gedruckt. Die Idee ist prinzipiell gut und wurde von Ulisses bereits für DSA praktiziert. Aber es verkleinert die Schrift auf ein Maß, das meine alternden Augen überfordert. Ohne das PDF wäre ich nicht in der Lage gewesen, das Buch zu lesen. Über Drivethru.com kann das PDF und eine POD-Ausgabe in normaler Größe erstanden werden. Wer Interesse an dem Spiel hat, sollte dort zuschlagen.

Die Welt von „Spherechild“ ist ein Multiversum. Unendlich viele Welten – oder Sphären –existieren nebeneinander wie Blasen in einem Schaumbad. In diese Sphären kehren seit einigen Jahren die Mythen zurück. In der Fantasywelt Valcreon sind es vielleicht legendäre Monster, die als verschwunden galten und die nun die Dörfer und Burgen bedrohen. In der Sci-Fi-Welt Sol Thu’ma sind es Eroberer, die vor über zweitausend Jahren verschwanden und nun zurückkehren.

Die Sphären existieren getrennt voneinander. Es ist den Sphärenkindern nicht möglich von einer Sphäre in die andere zu gelangen oder Gegenstände hinüberzuschicken. Die Sphärenkinder haben Verbündete in jeder Sphäre. Mit ihnen sind sie im wahrsten Sinn des Wortes verbunden. Sie können mit ihnen kommunizieren und gemeinsam Pläne ausarbeiten, um die Welten vor Gefahren zu schützen. 

Geschehen Dinge, die die Ordnung einer Sphäre gefährden, kann es zu so genannten Echos kommen. Echos sind Auswirkungen, die in anderen Sphären widerhallen. Das Echo eines Erdbebens in einer Welt, könnte eine Seuche in einer anderen sein, ein Kometeneinschlag führt woanders vielleicht zu einer Insektenplage. Die Sphärenkinder sind in der Lage, diese Echos als solche zu erkennen. Über Absprache mit ihren Geschwistern in der Ursprungswelt können sie versuchen, diese aufzuhalten oder rückgängig zu machen. 

So gestalten sich die Abenteuer und Kampagnen in „Spherechild“. Die Gruppe hat SC in jeder Sphäre und je nachdem, wo die Geschichte gerade spielt, wechselt sie die SC. Gemeinsam lösen die Charaktere weltenüberspannende Rätsel und stellen sich Gefahren, die in anderen Welten widerhallen.

Ihre Gegner sind die Vhoort, gefährliche Wesen, die die Sphären bedrohen und zwischen ihnen reisen können. Sie haben ihre ganz eigenen nachvollziehbaren Gründe, warum sie die Sphären zerstören wollen. Ihre bloße Anwesenheit stört die Ordnung, ein Chaos, das sie noch verstärken. Schnee im Sommer oder Kometeneinschläge können die Folgen sein – oder wiederkehrende Mythen. Mir gefallen die Vhoort als große Gegner sehr gut. Sie machen die Situationen fantastisch und chaotisch, was immer eine gute Sache für Rollenspielgegner ist.

Die Regeln von „Spherechild“ müssen bei diesem Setting zwangsläufig als Universalregeln aufgebaut sein. Sie haben ihre Wurzeln recht deutlich in „Midgard“, „DSA“ und „D&D“. Es gibt sechs Grundattribute, die den meisten aus „D&D“ bekannt vorkommen dürften (nur statt Weisheit gibt es die Geistige Kraft). Sie reichen bis 18. Bei Proben wird 1W20 gewürfelt und die Eigenschaft addiert. Die Spielleitung legt einen Mindestwert fest, der erreicht werden muss. Gleichzeitig folgen aus den Werten Boni und Mali, die wiederum auf Fertigkeiten angerechnet werden. Fertigkeitsproben laufen genauso ab, wie Eigenschaftsproben. 

Für die Charaktere wird ein Volk und eine Profession gewählt – natürlich abhängig von der jeweiligen Sphäre. Fertigkeiten können so genannte Ausprägungen haben, was Spezialisierungen und anderen Besonderheiten entspricht. Außerdem haben Sphärenkinder besondere Kräfte und sogar Gruppenkräfte wie die Möglichkeit über weite Strecken zu kommunizieren. Magie ist eine Fertigkeit, die von jeder Person gelernt werden kann, die in einer Sphäre wohnt, in der es Magie gibt. Zauberspruchlisten gibt es nicht. Stattdessen errechnet sich die Schwierigkeit einer Probe aus der Komplexität eines mehr oder weniger frei zu beschreibenden Zauber. Wer freie Magie im Rollenspiel mag, findet hier ein relativ robustes System, das mit einer überschaubaren Tabelle auskommt.

Die Regeln sind so klassisch, dass ich sie sogar als „retro“ bezeichnen würde. Ich bevorzuge inzwischen einfachere Regeln. Andererseits endet der Regelteil des Buchs bereits auf S. 71, ist also zumindest von der Länge her überschaubar. Die Übersichtlichkeit könnte allerdings besser sein. Die Charaktererschaffung ist im hinteren Teil des Buchs zu finden und die Regelerklärungen erwähnen häufig Werte und Zahlen, mit denen ich noch gar nichts anfangen konnte. Man sollte auf jeden Fall die Lust mitbringen sich in ein Regelwerk einzuarbeiten. Ich habe schon weit kompliziertere Regelwerke gesehen, aber „mal so nebenbei“ ist es hier nicht getan.

Zwei Sphären werden auf jeweils ca. 90 Seiten beschrieben. Valcreon ist eine Fantasywelt ohne die typischen Völker wie Elfen oder Zwerge. Stattdessen finden wir hier Gestaltwandler, Vogelmenschen und Echsenmenschen. Es ist eine gut beschriebene Fantasywelt. Eine Zeitleiste der Geschichte, die „wahre“ Geschichte, Mythen, Wesenheiten, … alles ist da. Natürlich dürfen auch die speziellen Regeln und Tabellen für diese Sphäre nicht fehlen. Ein Szenario und ein paar Seiten über eine Kampagne zeigen beispielhaft, was hier geschehen könnte.

Sol Thu’ma ist eine Sci-Fi-Welt mit Raumschiffen und verschiedenen Planeten. Das Kapitel ist die Entsprechung zum Vorkapitel. Der Regelteil ist naturgemäß länger, weil die Technik und die Raumschiffe erklärt werden müssen. Auch hier liefert ein Szenario ein Beispiel, was die Gruppe erleben kann. 

Ein eigenes Kapitel über die Sphären, ein paar Regeln, die sich speziell darauf beziehen, Erklärungen zu den Vhoort und ein weiteres Beispielabenteuer verbindet die Inhalte der vorigen Seiten. Zum Schluss folgen die Charaktererschaffung (eine erfreulich kurze Zusammenfassung) und ein paar an die Spielleitung gerichtete Seiten. 

Ein abschließendes Urteil fällt mir etwas schwer. Die Idee ist toll und bietet viele spannende Möglichkeiten, verschiedene Genre zu verbinden. Die Weltenwechsel und das Zusammenspiel der Charaktere machen so eine Kampagne sicherlich zu etwas Besonderem. Hartung liefert viele Ideen und bindet sie gut in die Prämisse der bedrohten Sphären ein. Die Beschreibungen der Welten gefallen mir auch recht gut, auch wenn (oder vielleicht sogar weil) sie sich nicht allzu weit von typischen Rollenspielwelten der 80er und 90er Jahre entfernen. Eine gewisse „Biederkeit“ lässt sich nicht leugnen, wird aber immer wieder aufgebrochen. Die Regeln sind mir allerdings zu altbacken. Hier würde ich mir etwas Einfacheres und Moderneres wünschen. 

Fazit: „Spherechild“ ermöglicht epische Kampagnen zur Rettung des Multiversums. In unterschiedlichen Sphären kämpfen dort ansässige Charaktere gemeinsam mit anderen Charakteren in anderen Welten gegen einen gemeinsamen Gegner. Das Regelbuch enthält Beschreibungen von einer Fantasy- und einer Sci-Fi-Welt, doch theoretisch ist jedes Gerne möglich. Die Regeln sind etwas aus der Zeit gefallen, doch ihre Komplexität hält sich in Grenzen.

Spherechild
Grundregelwerk
Alexander Hartung
Eigenverlag 2018
ISBN: keine
304 S., PDF oder Softcover, deutsch
Preis: von 10 EUR bis ca. 40 EUR

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt.]

25.09.23

[Rezi] Forbidden Lands – Book of Beasts


Das „Book of Beasts“ ist ein neuer Quellenband für das Hexcrawl- und Fantasyrollenspiel „Forbidden Lands“ vom schwedischen Verlag Free League. Neben vielen neuen Monstern bietet es Tabellen mit Zufallsbegegnungen und anderen Informationen für die Spielleitung und ein Kapitel mit Solo-Regeln. Eine bunte Mischung …

Viele Fantasyrollenspiele erscheinen im Dreiklang: Buch für die Spielgruppe, SL-Buch und Monster-Buch. Das SL-Buch von „Forbidden Lands“ enthält bereits Monster, was das dritte Buch eigentlich unnötig macht. Aber zusätzliche Monster bereichern fast jedes Rollenspiel und so dürfte der vorliegende Band für viele eine willkommene Ergänzung sein. 

Das „Book of Beasts“ bietet dabei eine eigenartige Mischung aus inspirativen Tabellen und eben jenen auf dem Cover genannten Bestien. Optisch fügt es sich in die Reihe der Grundbücher ein. Ein blauer Kunstledereinband mit Goldprägung umschließt das voluminöse, nicht reinweiße Papier und vermittelt bereits auf den ersten Blick einen guten Eindruck. Das Vorsatzpapier ziert eine hervorragende Zeichnung von den Überresten einer offenbar verlustreichen Schlacht gegen ein drachenartiges Monster. Die Zeichnungen der vielen neuen Monster sind großartige Schwarzweißbilder, bei denen ich häufig den Drang habe, sie anderen zeigen zu wollen – was am Spieltisch vermutlich auch geschehen wird.

Die ersten zwei Drittel des Buches werden von 28 neuen Monstern eingenommen. Jedes wird auf vier Seiten beschrieben – zwei Seiten je Monster mehr als im SL-Buch. Die erste Doppelseite enthält eine große Zeichnung, einen Kastentext mit der Legende des Wesens (am Ende des Buches noch einmal wiederholt, um den Text als Handout benutzen zu können), eine kurze und prägnante Beschreibung und eine kurze Tabelle mit Infos, die über Lore-Proben herausgefunden werden können. Auf der zweiten Doppelseite sind ein bis zwei Zufallsbegegnungen mit dem Wesen, die Spielwerte, die übliche W6-Tabelle mit den Angriffen und ein Absatz über die sich bietenden Ressourcen. 

Neu im Vergleich zum SL-Buch ist die Legende, die ein nützliches Werkzeug für die Spielleitung darstellt. Es ist eine Beschreibung des Monsters, wie man sie in Wirthäusern und auf Marktplätzen hören könnte. Die Zufallsbegegnungen sind ebenfalls neu. Sie bieten jeweils eine spannende Situation, die in den meisten Fällen ohne Anpassung ins Spiel gebracht werden kann. Zufallsbegegnungen müssen nicht langweilig sein, wie man hier gut sieht. Der Abschnitt über die Ressourcen ist ebenfalls erwähnenswert. Er beschreibt, was die SC mit den Kadavern erschlagener Monster anfangen können. Die Essenz eines Giant Spectres enthält beispielsweise Sternenstaub, der für magische Gegenstände genutzt werden kann.

Die Beschreibungen sind nicht nur sehr nützlich am Spieltisch, sie lesen sich auch gut und sind kurz genug, dass man sie zur Not während des Spiels überfliegen kann. Die Zeichnungen ergänzen die Informationen hervorragend. Das Konzept geht auf und macht das „Book of Beasts“ zu einem der besseren Monsterbücher im Meer gleichartiger Werke. Die Wesen sind übrigens so konzipiert, dass sie in allen drei bisher vorliegenden Kampagnen eingesetzt werden können.

Aber damit habe ich ein Drittel des Buches noch gar nicht erwähnt. Auf 20 Seiten gibt es weitere Zufallsbegegnungen, die nicht an spezifische Monster gebunden sind. Insgesamt sind es 36 Stück mit unterschiedlich langen Beschreibungen. Manche von ihnen münden in Kämpfe, aber nicht alle. Manchmal finden die SC nur eine neue Inforation über das Land, können sich vielleicht einen kleinen Vorteil erarbeiten oder erleiden einen Nachteil. Immer gibt es etwas zu gewinnen oder zu verlieren, selbst wenn es nur eine kleine neue Information über die Landschaft der verbotenen Lande ist. Die Begegnungen sind naturgemäß kurz und nicht sehr tiefgründig. Aber schon beim Lesen machen sie Spaß und als Ergänzung dürften die meisten von ihnen gut funktionieren. Sie sind für das Ravenland konzipiert, also das Land der ersten der bisher erschienenen Kampagnen. Eine Konvertierung für andere Länder dürfte aber nicht allzu schwierig sein.

Der nächste Abschnitt bietet Zufallstabellen für die Spielleitung: Fallen, Wetter, Bücher, Festungen, Artefakte u. a. Die Tabellen wurden konzipiert, um der SL dabei zu helfen zu improvisieren und spontan die Welt um verschiedene Details zu ergänzen, sollte dies nötig werden. In einem Hexcrawl-Spiel wie „Forbidden Lands“ dürfte ein solcher Moment nicht lange auf sich warten lassen. Bei Lesen wirken die Tabellen ausgereift und nützlich – ein Test in der Praxis steht allerdings noch aus.

Abschluss des Buches bilden die Soloregeln. Alle notwendigen Ergänzungen, um allein auf Abenteuer zu gehen, befinden sich auf den wenigen Seiten. Die anderen Bücher werden aber für weitere Tabellen, Wesen und Karten zusätzlich benötigt. „Forbidden Lands“ bietet sich für ein Solospiel an, diese Ergänzung ist also sehr willkommen. Ich würde ein solches Kapitel normalerweise nicht in einem Buch mit Monstern vermuten, da jedoch weitere Tabellen und Zufallsbegegnungen enthalten sind, passt es schlussendlich doch gut hinein.

Der Uhrwerk-Verlag hat übrigens erfolgreich ein Crowdfunding der Übersetzung des Buches abgeschlossen (Stand September 2023). Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis es auch auf Deutsch erscheint.

Fazit: Das „Book of Beasts” ist mehr als ein reines Monsterbuch. Es bietet neben der gelungenen Beschreibung von neuen gefährlichen Wesen für „Forbidden Lands“ verschiedene Zufallstabellen mit nützlichen Informationen wie z. B. 36 gut gestalteten Zufallsbegegnungen. Zusätzlich ist ein kurzes Kapitel mit Soloregeln enthalten. Es ist ein gelungenes Buch. 

Forbidden Lands – Book of Beasts
Quellenbuch
Andreas Marklund, Matt Kay, Mattias Lilja, Erik Granström, Christian Granath, Nils Karlén
Free League 2023
ISBN: 978-91-89143-64-7
192 S., Hardcover, englisch
Preis: ca. 33,50 EUR

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt.]

06.08.23

Lankhmar - die archetypische Stadt der Diebe

Zurzeit läuft die Vorbestellungsaktion für DCC Lankhmar, eine prallgefüllte Box mit sofort spielbaren Informationen für die "Stadt der Diebe". Drei Hefte/Bücher, ein weiteres Heft mit Abenteuer, Sichtschirm, zwei Posterkarten, alles in einer schicken Box. Zwei weitere Hefte können nur während der Vorbestellung bestellt werden.

Ich bin nicht neutral - natürlich nicht, ich und viele andere Leute haben die letzten Jahre viel Arbeit hineingesteckt - aber diese Box gehört meiner Meinung nach in jede Rollenspielsammlung. 

Lankhmar ist die Stadt, in der Fafhrd und der Graue Mausling viele ihrer Abenteuer erlebten. Die beiden Schurken sowie die Stadt wurden von Fritz Leiber entworfen. Die Stadt ist die archetypische Fantasystadt. Wenn ihr eine große Stadt voller Diebe in einem Rollenspiel betretet, könnt ihr darauf wetten, dass es eigentlich Lankhmar mit abgefeilter Seriennummer ist. Terry Pratchett Ankh-Morpork wurde ebenfalls davon inspiriert.

Es gibt neue Regeln, speziell für eine Lankhmar-Kampange entwickelt. Dennoch ist die Box komplett kompatibel mit den DCC-Regeln, wenn man keine Lust auf die Neuerungen hat. Ich persönlich finde sie sehr gelungen und ertappe mich dabei, dass ich sie vermisse (besonders das flüchtige Glück), wenn ich "normales" DCC spiele. Die Stadtbeschreibung ist auf Benutzbarkeit ausgelegt. Die Beschreibungen sind kurz und "auf den Punkt" und viele Tabellen voller Inspirationen erleichtern das Leiten. Es gibt eine Tabelle mit Gerüchen (denn Lankhmar stinkt), eine mit Straßennamen. Jedes Stadtviertel hat eine Tabelle mit Begegnungsideen. Es gibt sogar ein Kapitel, wie man diese Begegnungstabellen benutzen kann, um ein komplettes Abenteuer zu entwerfen.

Wir spielen seit vielen Monaten in Lankhmar und es war immer spannend, witzig und kreativ. Geht los und bestellt diese Box! Die Vorbestellaktion läuft noch bis zum 10.08.23. Es wäre tragisch, wenn solche großen und großartigen Projekte wegen schlechter Vorbestellungszahlen nicht mehr umgesetzt werden können.

Bitte entschuldigt den Werbeblock. Als nächstes kommt wieder eine Rezi ...

22.05.23

[Rezi] Vaesen - Nordic Horror Roleplaying

„Vaesen“ ist ein mystisches Rollenspiel von Free League. Die Industrialisierung drängt die mythischen Wesen Skandinaviens immer weiter zurück und sorgt für Konflikte zwischen ihnen und den Menschen. Die Charaktere gehören zu den wenigen Menschen, die diese Wesen sehen können. So liegt es an ihnen, potenzielle Konflikte zu verhindern und Menschenleben zu retten.

„Vaesen“ ist ein wunderhübsches Spiel über nordische Folklore. Vom Aufbau her ist es Cthulhu nicht unähnlich. Die Charaktere stellen sich zwischen magische und gefährliche Wesen und die Menschen, die diese bedrohen. Die Abenteuer sind detektivisch und die Monster nur selten mit einfacher Waffengewalt zu besiegen. Anders als bei Cthulhu sind die Wesen zwar gefährlich, aber dennoch häufig Teil der natürlichen Ordnung. Sie sind neutral und nicht zwangsläufig böse. Manchmal kann eine Verhandlung die bessere Alternative zu Kampf sein.

Für die Bebilderung zeigt sich Johan Egerkrans verantwortlich. Sein Stil ist ein echter Augenschmaus. Das Layout wurde an diesen Stil und das Thema des Buchs angepasst und ist nicht weniger hübsch. All das ist auf mattes voluminöses eierschalenfarbenes Papier gedruckt. Der Buchdeckel ist matt. Es ist eine wahre Freude, das Buch in die Hand zu nehmen und darin zu blättern. Man kann die Gestaltung des Buches gar nicht genug loben. Es passt alles zusammen: die Auswahl der Fonts, die Farben, der Seitenaufbau und natürlich die Bilder. 

Vaesen sind normalerweise unsichtbar - außer für die so genannten Donnerstagskinder. Verursacht von einem Trauma haben diese die Fähigkeit, Vaesen zu sehen. Bis vor kurzem gab es eine Gesellschaft - kurz und prägnant The Society genannt, die die nordischen Sagenwesen studierte und bekämpfte. Die Kampagne sieht vor, dass die Charaktere die Gesellschaft wieder versuchen aufzubauen. In Upsala beziehen das ehemalige Hauptquartier der Society, die Burg Gyllencreutz und bauen sie wieder auf. Sie engagieren Leute, suchen Verbündete und kümmern sich ganz allgemein um alle Belange und Probleme. Ihre Hauptaufgabe ist aber natürlich die Bekämpfung der Vaesen. Die Geschichte der Society bildet eine Art optionalen Metaplot, der sich im Abenteuer am Ende des Regelbuchs bereits andeutet, der aber nicht weiter beschrieben wird. Die Spielleitung kann sich hier beliebig austoben und die Kampagne mit zusätzlichen Geheimnissen und Konflikten füllen.

Die Charaktererschaffung basiert auf Archetypen, die nach Wunsch der Einzelnen mit Details erweitert werden. Neben Attributen und dazugehörigen Fertigkeiten werden Hintergrundinformationen wie eine Motivation, ein dunkles Geheimnis und auch das Trauma, das alles gestartet hat, festgelegt. Attribut und Fertigkeit zusammenaddiert ergeben die Anzahl an W6, die für eine Probe gewürfelt werden. Jede 6 ist ein Erfolg. Man kann einen schlechten Würfelwurf versuchen zu verbessern, indem man ihn noch einmal würfelt. Allerdings nimmt man dafür einen Zustand hin. Zustände beschreiben Verwundungen und Stress, die sich negativ auf die Figuren auswirken und bis zu permanenten Beeinträchtigungen oder sogar dem Tod führen können.

Das Regelbuch geht genau auf die Struktur einer typischen Kampagne und den Aufbau von Abenteuern ein. Zum Beispiel gibt es in und um die Burg immer wieder Probleme, die es zu bewältigen gibt. Dafür kann man die Burg mit Upgrades versehen, die ihre Nützlichkeit als Hauptquartier erweitern. Allerdings führen diese zu Aufmerksamkeit und diese wiederum zu weiteren Problemen. Ein Abenteuer besteht aus definierten Phasen (Prolog, Einladung ins Abenteuer, Vorbereitungen, Reise, Ankunft usw.). Für diese Phasen werden sogar Tabellen geliefert, die man als Inspiration für eigene Fälle nutzen kann. 

Ein großes und wichtiges Kapitel widmet sich den Vaesen selbst. Jeweils eine Doppelseite beschäftigt sich mit einer einzelnen der Kreaturen. Es gibt ein Bild, Spielwerte, ein Geheimnis, Beispiele für Konflikte mit dem Wesen und andere inspirierende Informationen. Ein Abenteuer mit der jeweiligen Kreatur schreibt sich praktisch von selbst - besonders wenn man auf die typische Struktur von Vaesen-Abenteuern zurückgreift. Hier sieht man gut, dass der Horror-Aspekt von „Vaesen“ zwar klar gegeben ist, aber zugunsten von Mystik auf ein Minimum reduziert werden kann.

Das im Regelbuch enthaltene Einführungsabenteuer The Dance of Dreams konnte ich als Spieler auf einer Con mit großem Spaß spielen. Auf einem gut gewählten und hervorragend in Szene gesetzten Schauplatz hatten wir es mit Rache, Missverständnissen, Schattentheater und tiefsitzenden Familienproblemen zu tun. Das Abenteuer macht nicht nur Spaß, es zeigt auch hervorragend, wie der typische Aufbau funktioniert. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann die viel langen und schlecht lesbaren Handouts. Ein Podcast ((https://podcast.system-matters.de/2022/03/31/abenteuer-erforschen-10-der-tanz-der-traeume/)), in dem wir gemeinsam mit Felix Hensell vom Uhrwerk-Verlag (Redakteur der deutschen Übersetzung des Spiels) die Stärken und Schwächen des Abenteuers analysieren, findet man auf der Webseite des System-Matters-Verlags. 

Fazit: „Vaesen“ ist ein tolles Spiel. Das Buch sieht toll aus, bietet gute, einfache Regeln und ein hervorragendes Gerüst für mystische Abenteuer in einem vergangenen Skandinavien. Es liest sich gut und erleichtert der Spielleitung jederzeit mit Tipps, Informationen und Strukturen die Arbeit. Mehr kann man nicht verlangen.

Vaesen - Nordic Horror Roleplaying
Grundregelwerk
Nils Hintze, Rickard Antroia, Nils Karlén
Free League 2020
ISBN: 978-9-18914-392-0
232 S., Hardcover, englisch
Preis: ca. EUR 44

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt.]

07.05.23

[Rezi] Blade Runner The Roleplaying Game

“Blade Runner The Roleplaying Game” ist die Rollenspielumsetzung des berühmten Franchise. Der schwedische Verlag Free League hat sich des Themas angenommen und ein wunderhübsches und stimmungsvolles Spiel abgeliefert.

Das „Starter Set“ habe ich schon vor einer Weile besprochen und fand es sehr gelungen. Will man aber mehr als nur den dort beschriebenen Kriminalfall spielen, wird man sich vermutlich das Grundregelwerk zulegen. Es ist ein stabiles Hardcover im gleichen dunklen und trotzdem übersichtlichen Design. Die Bilder sind sehr stimmungsvolle Straßen- und Stadtszenen oder Abbildungen von Personen, verwaschen und in dunklen Farben gehalten. Mir persönlich sind sie teilweise zu stark verwaschen, aber sie passen hervorragend zur angestrebten Stimmung vom verregneten, künstlich beleuchteten LA. Das Layout greift das auf. Vor dunklen Seitenhintergründen liegen sandfarbene Textkästen, in denen sich der Hauptteil der Texte befindet. Tabellen, Beispiele und Zusatzinformationen sind in heller Schrift auf dunklem Grund. Zum Glück wurde eine Schriftart gewählt, die sich trotz dieser Farbgebung gut lesen lässt. Es macht Spaß, das Buch aufzuschlagen und darin zu blättern, es ist einfach hübsch.

Im Vorsatz ist eine Übersichtskarte von Central Los Angeles abgedruckt. Sie vermittelt das Gefühl der Größe und ganz grob die Verhältnisse, wie die verschiedenen Stadtviertel zueinander liegen, und sieht einfach gut aus. Nur das Cover finde ich langweilig. Aber das ist natürlich Geschmackssache.

Mit ca. 230 Seiten ist das Buch nicht so dick wie viele moderne „große“ Regelwerke, was ich sehr angenehm finde. Die Informationen werden übersichtlich und ohne Geschwafel vermittelt. Das Buch vermittelt in wenigen Worten, was es ausdrücken will. Ich habe praktisch überall auf Anhieb verstanden, was das Regelwerk von mir will.

Die Einführung, was man als Spielgruppe zu erwarten hat, geht bis S. 23 - eine schöne kompakte Übersicht. Auf diesen wenigen Seiten lernen wir, worum es geht. Wir schreiben das Jahr 2037. Es gab ein Verbot von Replikanten und einen Blackout, der alle Daten löschte. Die Wallace Corporation hat letztes Jahr durchgesetzt, dass ihr neues Replikatenmodel, der Nexus-9, für die Massenproduktion und den Masseneinsatz erlaubt wird. Das bedeutet, in Los Angeles leben eine Menge – man schätzt 2 bis 5 Prozent der Bevölkerung - legale Replikanten, die ihren Aufgaben nachkommen. Einige davon arbeiten auch beim LAPD als Blade Runner. Sie sind erst ein Jahr alt, aber mit künstlichen Erinnerungen ausgestattet, die sie auf eine Arbeit als Blade Runner „vorbereiten“. 

Das zweite große Kapitel dreht sich um die Charaktererschaffung. Wie beim Haussystem von Free League zu erwarten, wird wieder mit Archetypen gearbeitet, die von den Spielerinnen und Spielern für ihre Zwecke angepasst werden. Es gibt 4 Attribute (Gewandtheit usw.) mit jeweils drei dazugehörigen Fertigkeiten (Feuerwaffen u. ä.). Anders als bei den anderen Haussystemen des schwedischen Verlags wird hier nicht mit einem Poolsystem gearbeitet, sondern diesen Eigenschaften Würfelgrößen zugeordnet, die per Buchstabencode auf dem Charakterbogen notiert werden. Diese reichen von D (W6) bis A (W12). Man würfelt zwei Würfel: jeweils die Würfel für das Attribut und die Fertigkeit. Ich schieße beispielsweise mit W10 (B in Gewandtheit) und W8 (C bei Feuerwaffen). Eine 6 oder mehr ist ein Erfolg. Eine 10 oder mehr (soweit möglich) bringt zwei Erfolge. Eine Probe mit zwei oder mehr Erfolgen ist ein kritischer Erfolg, was besonders im Kampf von Bedeutung ist. Riskiert man körperlichen oder geistigen Schaden, darf man eine Probe noch einmal würfeln, falls einem das Ergebnis nicht zusagt. 

Von besonderer Bedeutung sind Humanity Points und Promotion Points. Beide können auf unterschiedliche Weise eingesetzt werden - z. B., um besondere Ausrüstung vom LAPD zu leihen oder Fertigkeiten zu steigern - und auf unterschiedliche Weise verloren gehen bzw. hinzugewonnen werden. Beides fließt in die Geschichte ein. Replikanten müssen sich beispielsweise einem Test unterziehen, wenn sie alle ihre Promotion Points verlieren. Über diese beiden Punktesorten werden auf sehr effektive Weise die Themen des Spiels vermittelt: Das Einfügen in die Gesellschaft und Menschlichkeit. 

Außerdem werden für jede Figur eine zentrale Person und eine zentrale Erinnerung festgelegt. Beide fließen sehr direkt ins Spielgeschehen ein. Beide können künstlich sein, wenn der Charakter ein Replikant ist. Die Zeit des Tages ist in Schichten von sechs Stunden eingeteilt und eine davon muss Freizeit sein, will sich der Charakter nicht überarbeiten. Für die Freizeit gibt Tabellen, was in dieser Zeit passieren kann, und in diesen Tabellen kommen beide zentralen Dinge vor. Die Spielleitung versucht sie dann so gut wie möglich in eine Miniszene für diesen speziellen Charakter einzuarbeiten. Manchmal bringen diese Szenen sogar den Fall weiter. Außerdem können sowohl Person als auch Erinnerung im Spiel eingesetzt werden, um bestimmte Vorteile zu bekommen. Wie schon die oben beschriebenen Punkte wird hier auf unkomplizierte Weise dafür gesorgt, dass die zentralen Themen des Spiels auch wirklich an den Spieltisch finden.

Mit dem Kampf geht es weiter und der hat es wirklich in sich. Kampf ist etwas, das man vermeiden sollte und schon zwei Schlägertypen mit Messern stellen eine ernsthafte Gefahr da. Ein kritischer Erfolg löst einen Wurf auf einer Tabelle für kritischen Schaden aus, der durchaus tödlich oder nahezu tödlich enden kann. Ein einziger Treffer kann mit Pech das Ende bedeuten. Das passt sehr gut zum Genre und vermittelt die Gefahr der Straße. 

In diesem Kapitel werden auch Verfolgungsjagden abgehandelt, die ebenfalls wichtiger Bestandteil des Genres sind. Das System ist einfach gehalten, kann aber das Chaos einer Verfolgung durch überfüllte Straßen gut abbilden. Tabellen geben unerwartete Ereignisse vor und die Entscheidung zwischen einer Handvoll einfacher Manöver gibt Auswahlmöglichkeiten für die Beteiligten.

Dann kommen wir beim Hintergrund an. LA erhält ein eigenes ausführliches Kapitel. Ein paar stimmungsvolle Absätze zu Beginn und Informationen über Stadtviertel, Technik und Kommunikation (um nur ein paar Stichworte zu nennen) vermitteln ein vollständiges Bild, ohne sich in Details zu verlieren.

Das nächste Kapitel beginnt mit einem Interview zwischen einer Zeitschrift und dem Chef der Wallace Corporation Niander Wallace, das ein hervorragendes Stimmungsbild abgibt. Der Rest des Kapitels beschäftigt sich mit den verschiedenen Fraktionen in LA. Staatliche und kriminelle Organisationen, die Medien, die Wallace Corporation und natürlich die Replikanten mit den verschiedenen Modellen und dem Replikantenuntergrund, der sich für die Rechte der künstlichen Menschen einsetzt. 

Das nächste Kapitel mit dem Titel Working the Case ist das zentrale Kapitel über das Wie und Was der täglichen Arbeit der Blade Runner. Wie kommen die Blade Runner an besondere Ausrüstung? Was für Ränge gibt es? Was für Abteilungen gibt es? Was für technische Möglichkeiten stehen dem LAPD zur Verfügung? Wie sieht das Standardverfahren bei Fällen aus? All diese Fragen und mehr werden geklärt. 

Bei Science-Fiction-Rollenspielen sind die Kapitel über die Ausrüstung besonders wichtig. Das vorliegende Kapitel Tools of the Trade hat mich mit seiner Effektivität beeindruckt. Hier gibt es weit mehr als Listen. Die Marke wird hier ebenso erklärt wie die Standardwaffen und -fahrzeuge, die dem LAPD zur Verfügung stehen. Zentrales technisches Element ist der KIA, der Knowledge Integration Assistent, der mit dem Server des LAPD verbunden nicht nur ermöglicht Beweismaterial sofort dorthin hochzuladen, sondern auch eine effektive Kommunikationsmöglichkeit zwischen den Blade Runnern darstellt. Das Gerät ermöglicht es der Gruppe, sich zu trennen und trotzdem gemeinsam zu agieren. Die Verbindung zum Server kann aber auch getrennt werden. Verrat und das Umgehen der Regeln sind wichtige Bestandteile des Spiels.

Running Blade Runner bildet das Abschlusskapitel des Buchs. Die eigentlichen Kriminalfälle, sollen nicht nur spannende Geschichten erzählen, sie drehen sich auch um die wichtigen Fragen der Menschheit: Was macht einen Menschen aus? Was ist Realität, wenn meine Erinnerungen in einem Labor designt wurden? Was bedeuten Menschlichkeit und Moral? Dieses Kapitel vermittelt theoretische Überlegungen dazu. Ein komplettes Beispiel ist im „Starter Set“ zu finden. Sind die künftigen Fälle so gut wie der im „Starter Set“ (ich hatte inzwischen Gelegenheit, ihn zu spielen), dann ist auch die praktische Umsetzung dieser Überlegungen hervorragend gemacht. Ich hoffe jedenfalls auf noch viele offizielle Abenteuer. Neben dem typischen Aufbau eines Falles, den zentralen Fragen der Fälle, Tipps zur Stimmung und allgemeinen Tipps zu Detektivfällen liefert das Kapitel auch Tabellen mit deren Hilfe man einen Fall selbst erstellen kann.

Vielleicht kann man an meinen Beschreibungen bereits erahnen, wie begeistert ich von „Blade Runner“ bin. Die Regeln sind auf den Punkt passend und liefern alles Nötige, ohne unnötig kompliziert zu werden. Die Beschreibungen sind kurz und kompakt und stimmungsvoll. Die gebotenen Informationen lassen keine Fragen offen, soweit ich das nach meinem Testspiel sagen kann. Es macht Spaß das Buch anzusehen und es macht Spaß, es zu lesen. „Blade Runner The Roleplaying Game” ist gemeinsam mit dem „Starter Set“ für mich eines der beeindruckendsten Rollenspielprodukte der letzten Jahre.

Fazit: Wer sich für das Franchise „Blade Runner“ oder für interessante Kriminalfälle im Rollenspiel interessiert, sollte einen Blick auf „Blade Runner The Roleplaying Game“ werfen. Das Buch sieht gut aus und liest sich gut. Die Informationsdichte ist hoch, ohne zu überfordern. Die Regeln sind gelungen und nicht zu kompliziert. Die Hintergründe werden gut vermittelt. Ein tolles Buch.

Blade Runner The Roleplaying Game

Grundregelwerk
Tomas Härenstam, Joe LeFavi, Nils Karlén, Gareth Mugridge
Free League 2022
ISBN: 978-9-18914-373-9
231 S., Hardcover, englisch
Preis: EUR ca. 46

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

12.02.23

[Rezi] Blade Runner RPG Runner Screen


Der Sichtschirm für das „Blade Runner RPG“ ist wie immer bei Free League ein Hardcover. Er wird als Einzelprodukt ohne zusätzliche Materialien verkauft.

Einen Sichtschutz zu rezensieren ist nicht einfach. Was kann man schon groß sagen? Der Sichtschutz für das „Blade Runner RPG“ ist aus stabiler Pappe (wie ein Hardcover-Buchdeckel) und in der üblichen Qualität. Er bietet drei Seiten im Querformat - das von mir bevorzugte Format. So ist es mir möglich über den Schirm hinweg problemlos die Spielgruppe zu sehen und die Breite des Schirms reicht aus, um dahinter genug Platz für meine Unterlagen zu bieten. Die Cellophanierung ist glänzend, was vermutlich besser passt als eine matte Oberfläche. 

Das der Spielgruppe zugewandte Bild will mir dieses Mal nicht so richtig gefallen. Es ist, finde ich, weder sehr stimmungsvoll noch bietet es einen irgendwie gearteten Eindruck vom Spiel. Natürlich ist das Geschmackssache. Ihr seht es ja in der Abbildung, macht euch selbst ein Bild.

Auf der Innenseite sind die üblichen Tabellen abgedruckt. Passend zum Stil des Buches ist helle Schrift auf dunklen Hintergrund gedruckt. Zum Glück wurden sowohl Schriftart als auch Schriftgröße so gewählt, dass die Tabellen nicht schwieriger zu lesen sind als bei anderen Sichtschirmen. Andererseits habe ich noch keinen Sichtschirm gesehen, der im Halbdunkel des üblichen Schattenwurfs von der Lampe, die meist auf der anderen Seite des Schirm hängt, gut zu entziffern gewesen wäre. Das vorliegende Exemplar schlägt sich dabei aber ganz gut.

Die Tabellenauswahl beinhaltet alles Wichtige, was man im Spielalltag so braucht - zumindest, soweit ich das ohne Spieltest sagen kann. Ich habe jedenfalls nichts vermisst. Zwei Tabellen für kritische Verletzungen, kritische Effekte von Stress (recht wichtig bei „Blade Runner“), Kampftabellen, Explosionsschaden, ... hier wurde gut ausgewählt. Sehr schön finde ich die LAPD-Resource-Requests-Tabelle. Als Angestellte können die Charaktere benötigte Ausrüstung beantragen. Wo man diese abholen muss, wie lange das dauert und andere Informationen sind in der Tabelle enthalten. Genau so etwas brauche ich während des Spielabends. Ein weiteres nettes Details sind die Seitenangaben. Jeder Tabelle ist die Seite zugeordnet, auf der man zum Thema im Regelbuch nachschlagen kann, falls man mehr Details benötigt.

Fazit: Ein Sichtschirm in guter Qualität. Auch wenn mir das Außenbild dieses Mal nicht so gut gefällt, bietet er alles, was man braucht. Die Tabellenauswahl ist gut und Seitenangaben für das Regelbuch erleichtern ihre Benutzung.

Blade Runner RPG Runner Screen
Zubehör
Free League 2022
3 S., Hardcover, englisch
Preis: EUR ca. 22

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

10.02.23

[Rezi] Blade Runner RPG Starter Set

Kaum ein neues Rollenspiel, für das es nicht auch ein Starter Set gibt. So auch für das neue „Blade Runner RPG“ von Free League. Die Box enthält alles, was man braucht, um den ersten Fall der Blade Runner - sprich, der Spielercharaktere – stilvoll und luxuriös zu spielen.

Ob das Phänomen der „Starter Sets“ der Tatsache geschuldet ist, dass viele neue Rollenspiele über Kickstarter finanziert werden und solche Boxen hervorragende Möglichkeiten für Stretch Goals bieten? Oder daran, dass der moderne Rollenspieler zu viel Geld aber zu wenig Zeit hat? Die Frage kann wohl niemand beantworten, aber für viele Spiele werden heutzutage diese luxuriösen Starter Sets herausgebracht. Meist enthalten sie kurze Regeln, ein Abenteuer und zusätzliches Material, das den ersten Spielabend unterstützt. So auch das „Blade Runner RPG Starter Set“. Es enthält ein kurzes Softcover-Regelbuch von 80 Seiten, den ersten Case File (so werden in „Blade Runner“ die Abenteuer genannt) mit dem Titel „Electric Dreams“, zwei Sätze von speziell angefertigten Würfeln, einen Stapel Spielkarten für unterschiedliche Zwecke, eine Posterkarte von Los Angeles, vier fertige Charaktere und einen braunen Umschlag vollgestopft mit Handouts für das Abenteuer einschließlich Szenenfotos und Karten.

Um es vorwegzunehmen: Man braucht das Starter Set nicht, wenn man sich das Grundregelbuch, das gleichzeitig erschien, kaufen will, aber irgendwie verpasst man dann was. Das Spiel ist auf diese Case Files ausgelegt. Das Grundbuch gibt natürlich Tipps, wie man selbst welche entwirft, aber die fertigen Fälle machen, wie ich gleich noch zeigen werde, den Reiz des Spiels aus. Außerdem sind die Würfel und Initiativekarten enthalten. Auch diese braucht man nicht. Karteikarten mit den Zahlen 1 bis 10 und normale Würfel von W6 bis W12 tun es auch, aber es wird einfacher und stilvoller mit diesen Materialien.

Doch fangen wir vorn an: die Regeln. Das Heft hat 80 Seiten und enthält im Vergleich zum vollen Buch gekürzte Regeln, aber alles, was man zum Spielen das Falls braucht. Es ist wunderhübsch gestaltet mit dunklen Farben und verwaschenen Bildern. Die Bilder sind mir teilweise zu stark verwaschen, aber stimmungsvoll sind sie allemal. Die Schrift vom normalen Fließtext ist allerdings sehr klein und gepaart mit dem verwendeten spiegelnden Hochglanzpapier für meine Augen etwas schlecht zu lesen. Keine Katastrophe, aber es könnte besser sein. Abgesehen davon gibt es an der Gestaltung kaum etwas auszusetzen.

Die Einführung ist kurz und übersichtlich und gibt einen hervorragenden Überblick. Die Spielerinnen und Spieler übernehmen Mitarbeiter der LAPD Rep-Detect Unit (die namensgebenden Blade Runner), sprich, sie klären Fälle auf, die mit Replikanten zu tun haben. Das Spiel spielt 2037. Die Wallace Company (ein weltumspannender Riesenkonzern, der alles kontrolliert) hat die Nexus-9-Variante der Replikanten auf den Markt gebracht, die im Gegensatz zu den alten Varianten wieder sicher sein soll. 

Die Regeln sind zwar angelehnt an die anderen Spiele von Free League, verwenden aber keinen W6-Würfelpool, sondern W6 bis W12. Man würfelt immer mit zwei Würfeln. Die Eigenschaften und die Fertigkeiten haben jeweils Werte von A (entspricht dem besten Würfel, dem W12) bis D (entspricht W6). Bei einer Probe kombiniert man eine Fertigkeit mit einer Eigenschaft und würfelt die beiden entsprechenden Würfel. Eine 6 oder mehr auf einem Würfel ist ein Erfolg, 10 und mehr zwei Erfolge. In der Box sind zwei Sätze mit W6 bis W12. Die hohen Zahlen sind entsprechend mit Symbolen gekennzeichnet, dass man auf einen Blick die Anzahl der Erfolge sieht. 

Die Charaktererschaffung ist einfach. Die Charaktere haben eine überschaubare Anzahl an Fertigkeiten und Eigenschaften. Es gibt Humanity und Promotion Points, die die Charaktere abhängig von ihren Handlungen und Würfelergebnissen bekommen können und die für verschiedene Dinge, z. B. auch Steigerungen, ausgegeben werden können. Das Ausrüstungskapitel ist kurz, bietet aber alles, was man für den ersten Fall braucht. Es gibt zum Beispiel den KIA, den Knowledge Integration Assistent, über den die Charaktere kommunizieren und auf die Datenbanken des LAPD zugreifen können, um Fotos und Berichte dorthin zu schicken oder selbst Informationen zu finden. Das kleine Gerät ist für das Spiel eine großartige Erweiterung, denn damit können die SC miteinander kommunizieren und sich unterstützen, auch wenn sie an verschiedenen Orten sind. „Never split the party“ war gestern.


Mir gefallen die Regeln sehr gut. Sie bieten Einfachheit kombiniert mit etwas Crunch und unterstützen das angestrebte Spielgefühl hervorragend – zumindest soweit ich das ohne Spieltest sagen kann. Mir ist nur nicht ganz klar, warum mit den Buchstaben ein zusätzlicher Umsetzungsschritt auf die Charakterbögen muss. Man hätte auch gleich mit den Zahlen arbeiten können.

Der Case File ist ein tief im Replikantenthema verwurzelter Kriminalfall. Detektivabenteuer sind nicht leicht zu schreiben. Zu leicht passiert es, dass sich die Charaktere in der Informationsflut verirren. Der vorliegende Fall ist extrem gut designt. Die Auflösung ist prinzipiell einfach. Es gibt nicht viele logische Schritte, die nötig sind, sie herauszufinden. Außerdem gibt es einen klaren Endpunkt. Die Tage sind aufgeteilt in Schichten und in einer Schicht von 6 Stunden kann man nur eine gewisse Menge erledigen. Die SC müssen sich also vermutlich trennen, um schnell genug zu sein. Denn eine Zeitleiste gibt an, wie der Fall jede verstrichene Schicht eskaliert, bis er zu Ende ist und etwas passiert, das den Charakteren klar macht, dass sie gescheitert sind. Die Charaktere können das Ende auf diese Weise nicht verpassen. Das Netz an Hinweisen ist gut und übersichtlich aufgearbeitet.

Toll ist auch die Idee, dass eine Schicht immer der Erholung der Charaktere dient. In dieser Zeit können Dinge passieren, die mit dem Privatleben der Figuren zu tun haben (der Fall liefert eine Tabelle). So wird den Figuren auf einfache Weise Leben eingehaucht.

Unterstützt wird das Ganze von den vielen toll gestalteten Handouts, die der Box beiliegen. Es gibt Dossiers, eine Zeitungsseite, Bilder von Überwachungskameras (in die man sogar hineinzoomen kann), Karten und andere Dinge. Dazu kommen die Spielkarten, von denen einige Bilder von NSC zeigen, denen die Charaktere begegnen. 

Vor allem die tollen Handouts, aber auch die gute Geschichte gepaart mit guter Aufbereitung machen das Abenteuer zu etwas Besonderem. Es darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass trotzdem eine Menge Arbeit auf die Spielleitung wartet, die das Abenteuer vorbereiten will. Es gibt viele NSC, einige Örtlichkeiten und natürlich diverse Hinweise, über die es einen Überblick zu behalten gilt. Ein Fließdiagramm, das zeigt, wie die einzelnen Szenen und Orte zusammenhängen hilft bei der Vorbereitung, kann aber bestenfalls unterstützen. Ich habe eigentlich schon lange keine Lust mehr, Abenteuer aufwändig vorzubereiten zu müssen, aber hier lohnt es sich.

Die Case Files sind des zentrale Element von „Blade Runner“, das wird in der Box mehrere Male betont. Sie werden sicherlich den Großteil der zukünftigen Veröffentlichungen ausmachen. Wenn sie in der Qualität so bleiben wie „Electric Dreams“, dann können wir uns darauf freuen.

Fazit: Das „Blade Runner RPG Starter Set“ ist eine Box, die alles enthält, um den ersten Fall in der LAPD Rep-Detect Unit im Los Angeles von 2037 zu lösen. Die Regeln sind gut, einfach und passend. Die Gestaltung ist hervorragend. Das Abenteuer, das mit vielen in der Box enthaltenen toll gemachten Handouts gespielt wird, gefällt mir ausgezeichnet. Es ist für alle zu empfehlen, die Noir-Detektiv-Geschichten mögen. Würfel und weitere Materialien sind ebenfalls in der prall gefüllten Box enthalten. Ein tolles Produkt und fast schon ein Pflichtkauf, wenn man sich für das „Blade Runner RPG“ interessiert.

Blade Runner RPG Starter Set
Regelwerk und Abenteuer
Thomes Härenstam, Joe LeFavi
Free League 2022
136 S., Box, englisch
Preis: EUR ca. 44

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

05.02.23

[Rezi] Magical Cops: Drachentanz

„Magical Cops: Drachentanz” ist der "Pilotfilm" zu einer neuen Serie, in der Cops mit Martial Arts und magischen Kräften im modernen Hong Kong Fällen nachgehen, die mit dem Übernatürlichen zu tun haben. Natürlich handelt es sich hierbei nicht wirklich um einen Film, sondern um ein Abenteuer für das Action-Rollenspiel „New Hong Kong Story“.

„Drachentanz“ bietet wie alle Abenteuer für das liebevoll designte Rollenspiel nicht nur einen kurzen und übersichtlichen Abenteuertext, sondern auch eine Menge Zusatzmaterial. Doch zuerst zur Geschichte: Die Magical Cops bilden eine Sondertruppe der Polizei von Hong Kong, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn etwas scheinbar Übernatürliches aufgeklärt werden muss. In diesem Fall sind es ungewöhnlich viele Glücksfälle: mehrere Lotteriegewinne auf einmal; schwere Unfälle, bei denen wie durch ein Wunder niemand verletzt wurde oder ein gefundener Jadeanhänger in einer Cornflakespackung. Der Chef der Charaktere ist der Meinung, dass dem nachgegangen werden muss, denn so viel Glück muss durch Unglück wieder ausgeglichen werden.

Das Abenteuer ist einfach strukturiert. Ein paar Nachforschungen führen zu einer bestimmten Firma.  Dort befragen oder verprügeln die Charaktere ein paar Angestellte und finden dadurch etwas heraus, was sie wiederum weiterführt usw. Die Gruppe erlebt natürlich spannende Kämpfe, aber auch eine verwirrende Verfolgungsjagd, muss klassische Nachforschungsarbeit leisten und kommt schließlich am magischen Ende an. In klassischer Actionfilmmanier ist das nicht kompliziert und das Ankommen am nächsten Ort des Geschehens ist weit wichtiger als die Suche nach dem nächsten Hinweis. 

Der Aufbau ist zwar gradlinig aber dennoch relativ lose. Die Spielleitung muss sich nicht durch Detailmassen kämpfen, sondern kann flexibel auf das reagieren, was die Gruppe tut. Manchem wird das etwas zu wenig sein. Der Abenteuertext gibt zwar vor, wo es weitergeht, und erwähnt auch ein oder zwei Hinweise, die die Gruppe finden kann, wie genau die Spielleitung die Cops aber zum nächsten Handlungsort bekommt, bleibt ihr überlassen. Ich persönlich mag das, denn es macht meine Arbeit als Spielleiter sehr einfach. Es fällt mir nicht schwer, diese Art Details spontan aus dem Hut zu zaubern, wenn die Gruppe irgendetwas macht, was halbwegs passt.


Dennoch nimmt Autor Torsten John hier die eine oder andere Abkürzung. Es geht insgesamt nur um zwei oder drei Stellen, an denen das relevant ist, aber zwei Stichworte, die der Spielleitung helfen, hätten es schon mehr sein dürfen. Das ist eigentlich eine Arbeit, die der Abenteuertext leisten sollte. Diese lose Herangehensweise könnte Absicht sein, denn wir haben es hier mit einer gewissen Actionfilmlogik zu tun (von den billigeren Actionfilmen), wo nicht so ganz klar ist, wie die Protagonisten zu ihren Schlüssen kommen. Zweimal habe ich mich beim Lesen am Kopf gekratzt, weil ich mich fragte, wo der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Informationen ist, die mir geboten wurden. Aber egal ob Actionfilmlogik oder nicht, ab und zu muss die Spielleitung sich selbst überlegen, wie sie die Gruppe im Abenteuer weiterbringt.

Weil der Rest stimmt und ich die Freiheit, die das Abenteuer mit sich bringt, sehr schätze, kann ich da aber drüber hinwegsehen. Dabei helfen auch die wie immer hervorragenden Materialien, die es zum Abenteuer dazugibt. Sechs Karten von verschiedenen Orten können als Battlemaps benutzt werden - sehr hübsch gestaltet und in ausreichender Größe. Für mich sind sie immer die Highlights der New-Hong-Kong-Story-Abenteuer. Außerdem enthält das Paket fünf Ausrüstungskarten in Form und Größe von Spielkarten, sechs wie Polaroidfotos gestaltet Karten mit NSC, einen Bogen mit ausschneidbaren Tokens, einer Postkarte von Hong Kong, einer Visitenkarte der Lucky Pork Comany, einem Zeitungshandout und sogar einem kleinen Tütchen für die später ausgeschnittenen Tokens. 

Fazit: „Magical Cops: Drachentanz” ist ein einfaches Actionabenteuer rund um eine Abteilung der hongkonger Polizei, die sich mit magischen Verbrechen beschäftigt. Die Gradlinigkeit des Abenteuers stört nicht, weil die Action im Vordergrund steht und die Geschichte gut genug designt ist, dass sich die Spielgruppe nicht gegängelt fühlen dürfte. Mit ein wenig Actionfilm-Logik muss man allerdings leben und die SL muss Flexibilität mitbringen. Zusammen mit dem hervorragenden Zusatzmaterial steht ein oder zwei unterhaltsamen Spielabenden nichts im Weg.

New Hong Kong Story - Magical Cops: Drachentanz
Abenteuer
Torsten John
Black Mask 2020
38 S., geheftet + weitere Materialien, deutsch
Preis: EUR 10,00

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]

16.01.23

[Rezension] Hong Kong City Guide

Der „Hong Kong City Guide” ist eine Kartensammlung für die beliebteste Abenteuerorte in Hong Kong. Es sind Battlemaps für das Spiel „New Hong Kong Story“ oder andere moderne Rollenspiele. Dazu gibt es ein paar Tokens und ein Begleitheft mit Schauplatzbeschreibungen.

„New Hong Kong Story“ ist ein liebevoll gemachtes Actionrollenspiel - eine Rezension ist hier im Ringboten zu finden. Die Spielgruppe spielt Schauspielerinnen und Schauspieler, die in asiatischen Actionfilmen auftreten. Die Abenteuer sind die Filmhandlung. Die Charaktere haben Fähigkeiten, die ihren Rollen entsprechen aber auch Fähigkeiten, die die Schauspieler beherrschen. Obwohl also in jedem Abenteuer andere Rollen gespielt werden, findet dennoch eine Entwicklung der Figuren statt. 

Zentral für jeden Film sind die mit Special Effects und abgefahrenen Stunts angereicherten Actionszenen. Um diese darzustellen, gibt es zu jedem Abenteuer mehrere Battlemaps, auf denen ebenfalls mitgelieferte Tokens hin- und hergeschoben werden können. Im Gegensatz dazu bietet der „Hong Kong City Guide“ sechs verschiedene Schauplätze, die beliebig in eigenen Abenteuern eingesetzt werden können. 

Im Mittelpunkt dieses kleinen Produktes stehen also die Karten. Die größte ist eine Karte einer Fähre, der Star Ferry. Die Karte ist etwas größer als zwei längs aneinandergelegte DIN-A4-Seiten. Sie zeigt das Deck der Fähre, einschließlich Brücke, Maschinenraum und Toiletten. Die anderen Karten sind DIN A3. Es gibt eine Arena, in der illegale Kämpfe durchgeführt werden, einen kleinen Supermarkt, einen Abschnitt des Night Markets (einen Straßenmarkt, der einmal im Jahr eine Woche lang abgehalten wird), zwei Karten eines Schrottplatzes und (mein persönliches Highlight) zwei Karten von Abschnitten der Kowloon Walled City. Wer nicht weiß, was es das ist, sollte unbedingt eine Internetsuche nach Bildern machen. Bevor sie 1993 abgerissen wurde, war die Kowloon Walled City ein quasi rechtsfreier Häuserblock, in dem bis zu 50000 Menschen in ärmlichen Verhältnissen auf engstem Raum lebten. Um die Enge und Vertikalität darzustellen, geben Zahlen die Höhe der Ebenen auf den beiden Karten an.

Ein kleines 30-seitiges Heft beschreibt die jeweiligen Schauplätze und liefert auch gleich eine passende Actionszene mit, die dort ausgespielt werden kann. Da in diesen Szenen die Umgebung immer in die Kämpfe einbezogen wird, beinhalten die Beschreibungen entsprechende Möglichkeiten und Details. Das ist übersichtlich formuliert, ideenreich und schnell gelesen - eine tolle Ergänzung zu den Karten.

Ebenfalls nicht fehlen dürfen Handouts von Polaroid-Fotos, die die wichtigen NSC zeigen. Diese sind jedem Abenteuer beigefügt. Hier sind es fünf Bilder unterschiedlicher Personen und die Zeichnung eines Drachengraffiti, falls ein Fantasyfilm gedreht wird. Normalerweise sind die Bilder mit Namen versehen, hier aber natürlich nicht, damit sie beliebig eingesetzt werden können. Als letztes sind eine Postkarte von Hong Kong und zwei Bögen mit verschiedenen Tokens von Personen, Fahrzeugen und Gegenständen beigefügt.


Fazit: Die Karten, Tokens und Beschreibungen des „Hong Kong City Guides“ lassen sich vielfältig in so ziemlich allen modernen Rollenspielen einsetzen. Sie sind hübsch anzusehen und übersichtlich genug, um unkompliziert aufregende Actionsequenzen damit zu gestalten. Für gerade mal 8 schmale Euro bekommt man das kleine Paket. Das ist einen Blick wert, egal ob man „New Hong Kong Story“ oder ein anderes modernes Rollenspiel wie Vampire oder Shadowrun spielt.

New Hong Kong Story - Hong Kong City Guide

Quellenbuch

Christian Blaßmann

Black Mask 2020

ISBN: keine

30 S. + Zusatzmaterial, Softcover, deutsch

Preis: EUR 8

[Die Rezension wurde für den Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]