Optisch
ist das Buch schonmal sehr gelungen. Das Layout ist einspaltig, übersichtlich
und hübsch anzusehen. Die Bebilderung ist entweder direkt den Spielen entnommen
oder sehr stark daran angelehnt. Die Bilder sind wirklich großartig. Sehr
stimmungsvoll zeigen sie eine graue Welt voller Mystik und Spannung. Es gibt
ein paar Comics, die bestimmte Buchabschnitte mit Beispielen unterlegen - eine
nette Abwechslung zu den üblichen Vignetten. Die Bildqualität im PDF könnte
etwas besser sein. Die Bilder wurden sehr stark komprimiert. In der normalen
Ansicht ist das kein Problem, weil ohnehin häufig mit verschwommenen Elementen
und Nebel gearbeitet wird, will man sich aber ein Bild näher ansehen, weil es
einem gut gefällt, stößt man schnell an die Grenzen der Qualität. Für normale
PDF-Benutzer und natürlich Besitzer der gedruckten Version sollte das kein
Problem darstellen. Sie erhalten ein wirklich hübsches, stimmungsvolles Buch,
das sich auch noch gut lesen lässt.
Leider hört der hohe
Grad an Übersichtlichkeit beim Layout auf - zumindest für mich als jemand, der
die Spiele nicht kennt. Eigentlich steht alles da oder wird zumindest so
angedeutet, dass man sich denken kann, was gemeint ist, während ich das Buch
las, hatte ich aber häufig das Gefühl, dass irgendetwas vorausgesetzt wird, das
ich nicht weiß. Da sich das Buch hauptsächlich an Leute richten dürfte, die
Fans der Computerspiele sind, kann ich mir das bei der Weltbeschreibung leicht
erklären. Bei den Regelerläuterungen ging es mir aber genauso.
Die Einleitung
finden wir nach einem kleinen Comic mit einer Actionszene. Sie trägt den Titel
„Into the Isles“ - ein durchaus passender Name für die Einleitung von
„Dishonored“, aber ganz einfach „Introduction“ würde mir im Inhaltsverzeichnis
mehr weiterhelfen. Sie erklärt, was ein Rollenspiel ist, nennt die vier Inseln
des „Empire of the Isles“ und gibt jeweils fünf oder sechs Zeilen Beschreibung.
Außerdem greift sie die Themen des Spiels auf: Ordnung und Chaos, Klassenkampf
u. a. So etwas wie: „Viktorianische Welt, aber mit Steampunkelementen, einer
Art von Magie und einer großen Bedeutung von Walen, aus denen sowohl weltliche
als auch mystische Energie gezogen wird“, sucht man vergebens.
Dann geht es an die
Regeln. Hier gibt es eine halbseitige Übersicht, aus was für Werten die
Charaktere bestehen. Es gibt „Skills“ und „Styles“. Ersteres sind sechs
Fertigkeiten wie „Fight“, „Move“ oder „Study“, letzteres die Art, wie Dinge
ausgeführt werden können, ebenfalls sechs an der Zahl. Sie sind wie die
„Methoden“ von Turbo-Fate, Dinge wie „Boldly“, „Cleverly“ und „Carefully“. Wie
man sieht, sind sie bereits wie Adverbien formuliert und ergeben zusammen mit
den Fertigkeiten den Wert, auf den man würfelt. Will ein Charakter jemandem
eine runterhauen, würfelt er vielleicht auf „Fight Boldly“. Man zählt die
beiden Zahlen zusammen (jeweils zwischen 4 und 8) und würfelt mit ein paar W20
(meist 2, woher das System seinen Namen hat). Jeder Würfel, der die Zahl oder
oder weniger anzeigt, ist ein Erfolg. Für schwierige Handlungen braucht man
mehr als einen Erfolg. Würfelt man mehr Erfolge als man benötigt, erhält man
„Momentum“, Punkte, die man für vorteilhafte Dinge wie zusätzliche Würfel o. ä.
ausgeben kann.
Hier kommen wir das
erste Mal zu Regeln, die das Spiel erzählerisch machen. Momentum kann u. a.
ausgegeben werden, um „Truths“ festzulegen. „Truths“ sind gut vergleichbar mit
den Aspekten von „Fate“, nur dass sie keine festgelegten Auswirkungen auf die
Regeln haben, sondern einfach nur ein Begriff dafür sind, dass etwas „ist“.
Eine Truth wäre z. B. eine lockere Bodendiele, die im Kampf eingesetzt werden
kann oder eine ähnliche Kleinigkeit, die ein Spieler in die Welt hineinerfindet
- immer vorausgesetzt, der Spielleiter legt kein Veto ein. Das Festlegen und
Verändern von Truths gehört in das normale Repertoire der Spielerhandlungen.
Böse Zungen könnten jetzt einwerfen, dass hier ein Begriff für etwas eingeführt
wird, das eigentlich Rollenspielstandard ist. Ist eine Truth „Es brennt“ und
der Spieler ändert sie in „Gelöscht“, in dem er es, nun ja, löscht, sollte
dafür kein Regelbegriff notwendig sein. Es tut dem Spiel bestimmt gut, sich die
Normalität dieser Handlungen klarzumachen. Aber es ist trotzdem von Vorteil,
einen Regelbegriff zu haben - spätestens, wenn ein Spieler mit Momentum einen
Gegenstand in eine Actionszene erfindet, der vorher nicht da war.
Ein weiterer
Punktepool, der von den Spielern benutzt werden kann, ist „Void“, die Kraft aus
der der übernatürliche Einfluss auf die Welt kommt. Der Spielleiter hat einen
weiteren Pool, nämlich das Chaos, das erhöht wird, wenn die Charaktere die
Ordnung untergraben oder z. B. jemanden töten. Die Chaos-Punkte werden
eingesetzt, um den Charakteren Steine in den Weg zu legen.
All diese
Punktepools werden separat geführt und auf unterschiedliche Weise gefüllt und
geleert. Alle erfüllen einen Zweck und bereichern das Spiel auf andere Weise.
Trotzdem stelle ich mir die Frage, ob es nicht mit etwas weniger auch gegangen
wäre, denn jeder Pool bedeutet Buchhaltung und bringt Komplexität ins Spiel.
Im nächsten Kapitel
kommen wir zu „Action and Intrigue“. Kampf ist nicht die einzige Action, die in
„Dishonored“ vorkommen kann. Über so genannte „Tracks“ wird der Fortschritt in
verschiedenen Bereichen dargestellt: der „Stealth Track“ bei Einbrüchen, der
„Intrigue Track“ bei Intrigen oder der „Stress Track“ bei Verwundungen. Es gibt
noch einige mehr. Das gefällt mir gut, denn die verschiedenen Tracks eröffnen
die Möglichkeit, das Vorankommen in verschiedenen Bereichen des Spiels auf
einfache Weise darzustellen. Daran anschließend folgt ein Kapitel für den
Spielleiter, das Grundlagen und Tipps erklärt.
Die Regeln sind rund
und gut auf das Spiel zugeschnitten. Wer die erzählerischen Komponenten mag und
ein klein wenig Komplexität nicht scheut, sollte alles finden, was er braucht.
Wer es einfacher wünscht, sollte wenig Probleme haben, Regelbereiche zu
streichen.
Bei der Charaktererschaffung,
die im nächsten Kapitel erklärt wird, kommen zu den beschriebenen Zahlen noch
ein paar weitere Elemente dazu. Grundlage des Charakters bildet ein Archetyp.
Außerdem legt der Spieler Foci fest (das sind etwas spezialisiertere
Fertigkeiten, die zu den sechs grundlegenden hinzukommen), Talente (besondere
Fähigkeiten), „Personal Truths“, Ausrüstung und Kontakte. Über die Archetypen
und eine jeweils überschaubare Anzahl an Talenten und Foci läuft die
Charaktererschaffung recht schnell, liefert aber trotzdem eine detaillierte
Figur. Das Ausrüstungskapitel ist auch gut gelungen. Die Auswahl an Dingen ist
mit Flair angereichert und Regeln für „Upgrades“ erlauben Personalisierung.
Ein eigenes Kapitel
erklärt den „Void“ und die übernatürlichen Fähigkeiten, die Charaktere haben
können. Man muss ein bestimmtes Talent gewählt haben, um Void-Kräfte anwenden
zu können. Da nicht alle Charaktere darauf zugreifen können, besteht die
Gefahr, dass die übernatürlich Begabten etwas zu viel Aufmerksamkeit erhalten.
Wie groß die Gefahr am Ende allerdings ist, kann ich ohne ein Testspiel nicht
einschätzen. Die Regeln sind jedenfalls gut und nicht zu kompliziert und die
Auswahl an Kräften gefällt mir auch gut. Die magischen Gegenstände von
„Dishonored“ werden hier ebenfalls beschrieben: „Bonecharms“ sind verbreitet
genug, dass sie in Abenteuern immer wieder gefunden und vom Spielleiter als
Belohnung verteilt werden können. Artefakte sind variabler und können z. B.
magische Waffen sein oder besondere Fähigkeiten verleihen, solange man sie bei
sich trägt.
Die nächste drei
Kapitel beschreiben verschiedene Bereiche der Welt. Die Beschreibungen bieten
Details, ohne zu überfordern. Die Kapitel bieten einen tollen Überblick über
die Geschichte, Orte, Fraktionen - jeweils mit Abenteueraufhängern und einer
Menge Stimmung. Man weiß gleich, was man dort spielen kann. Die geschichtliche
Einordnung legt jeweils nahe, welche Art Abenteuer man vermutlich am häufigsten
dort erleben wird. Darauf folgt ein langes Kapitel, das allgemeine und wichtige
Figuren und Monster vorstellt. Die Beschreibungen sind gut und auf Benutzung
durch den Spielleiter ausgelegt.
Den Abschluss bildet
ein langes Abenteuer (oder kurze Kampagne). Es gibt sich große Mühe, eine
besondere Stimmung einzufangen. Die Charaktere beginnen als Kriegsgefangene,
die in ein Gefängnis gebracht werden, das eigentlich eine Walöl-Fabrik ist.
Dort werden sie von etwas Übernatürlichem kontaktiert und können fliehen. Das
Abenteuer deckt eine relativ lange Zeit ab. Einzelne Szenen werden gespielt und
die Zeit dazwischen wird geschnitten. Gerade am Anfang ist es zwar recht
stimmungsvoll, wie die SC nach dem langen Gefangenentransport in die Fabrik
eingeführt werden, aber in mehreren Szenen können sie eigentlich nichts tun,
als sich ein wenig zu unterhalten. Eine Gruppe, die gern beobachtet, wie sich
ein Setting vor ihnen entfaltet mit einem Spielleiter, der gut und knapp
beschreibt, hat bestimmt viel Spaß damit. Aber auch wenn sich die Situation
verbessert und die Charaktere aktiv handeln können, bleibt die Story recht
gradlinig. Man sollte eine Gruppe haben, die diese Art Achterbahnfahrt mag. Es
soll aber nicht verschwiegen werden, das insgesamt eine Menge zu planen und
erleben da ist. Die Szenen sind gut strukturiert und bieten meistens mehr als
„Peepshow“. Selbst wenn das Abenteuer stilistisch nicht für jeden geeignet ist
(und welches Abenteuer ist das schon), ist es zumindest ein tolles Beispiel,
was man alles in „Dishonored“ erleben kann.
Fazit:
„Dishonored“ ist ein tolles Spiel mit vielen Möglichkeiten geworden. Die Regeln
sind schnell greif- und begreifbar und bieten einfache Herangehensweisen an
verschiedene Spielsituationen. Einzig dass insgesamt drei verschiedene Pools an
Punkten gefüllt und geleert werden müssen, finde ich etwas viel. Aber sie
passen zweifellos ins Spiels. Die Welt bietet viele Möglichkeiten und Stimmung.
Der Einstieg fiel mir ungewöhnlich schwer, vermutlich weil sich das Spiel an
Fans des Computerspiels richtet, das ich nicht kenne. Ein klein wenig Arbeit muss
man aber in jedes neue Rollenspiel stecken, insofern kann das verziehen werden.
Dishonored
Grundregelwerk
Mari
Tokuda, Anne Toole, Jason Brick, Danielle DeLisle, Nathan Dowdell, Federico
Sohns
Modiphius2020
308 S.,
PDF, englisch (HC zz. nur als Vorbestellung)
Preis: $
oder EUR 19,99
[Die Rezension wurde für den
Ringboten erstellt. Der Verlag stellte mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.]